DIE ACHSE DER BLOGS VON TOBIAS RAPP
: Das Mutterschiff

Kauft eigentlich noch irgendwer Mix-CDs? Der Strukturwandel der popkulturellen Öffentlichkeit ist in vollem Gang und der große Erfolg von Resident Advisor dürfte viel damit zu tun haben, dass der monatliche Podcast dieser Internetseite die Mix-CD einigermaßen obsolet gemacht haben dürfte.

Resident Advisor ist eines der wenigen unabhängigen reinen Online-Musikmagazine, das so gut läuft, dass es tatsächlich eine Redaktion unterhalten und seine Autoren bezahlen kann. Das ist meist gut gemacht und geht einher mit einem Serviceteil, der ziemlich umfassend über das europäische Clubleben informiert.

Das Tolle an dieser Seite ist allerdings etwas ganz anderes: der Resident-Advisor-Podcast nämlich, ein Mix, der jeden Montag auf die Seite gestellt wird. 116 sind es mittlerweile, fast das ganze Spektrum europäischer Techno-, House- und Neodisco-Entwürfe wird präsentiert. Das Archiv ist vier Wochen tief, mit ein bisschen Sucherei findet man aber die alten Mixe im Netz (besonders zu empfehlen: Efdemin, Dixon und Appleblim). Selbst Leute, die niemals ausgehen oder am anderen Ende der Welt wohnen, können einigermaßen im Blick behalten, wozu Europa tanzt, wenn sie diesen Podcast abonnieren. Was großartig ist. Und Probleme mit sich bringt. Der Wohnzimmer-Mix ist nämlich eine ganz eigene Kunstform, die zwar gewisse Verwandtschaften zum Club-Mix unterhält, aber ganz anderen Kriterien folgt. Man muss ihm zuhören, nicht zu ihm tanzen wollen.

residentadvisor.com

Die Überzeugungstäter

Während es bei Resident Advisor überall blinkt und die Grafik vor lauter Anzeigen, Links und Kategorien gar nicht weiß, wohin mit all den inhaltlichen Reizen, ist das Musikblog Littlewhiteearbuds angenehm aufgeräumt und übersichtlich. Die Macher hätten wahrscheinlich nichts gegen Anzeigenkunden, bis auf ein Banner gibt es sie aber einfach noch nicht. Bis sich das ändert, bleiben die Macher Überzeugungstäter.

Auch Littlewhiteearbuds – der Name bezieht sich auf die weißen Ohrstöpsel des iPods – stellt regelmäßig Mixe online. Das stilistische Spektrum ist dabei relativ eng gefasst. Die Macher mögen die verschiedenen Spielarten von Minimal Techno. Dafür haben sie bisher DJs wie M.A.N.D.Y., Terrence Dixon, Tama Sumo und Nick Höppner um Mixe gebeten. Dazu gibt es Interviews und jeden Tag eine oder zwei Plattenbesprechungen.

Interessanterweise sind alle Online-Mixe ungefähr 75 Minuten lang, egal ob sie bei Littlewhiteearbuds stehen, bei Resident Advisor oder woanders. Wer einen Beweis für die medientheoretische Annahme sucht, dass Formate immer kulturell und nicht technisch definiert werden, dürfte ihn hier finden. Der Sony-Chef, so geht die berühmte Geschichte, hatte den Platz auf der CD einst so einrichten lassen, dass die 9. Sinfonie von Beethoven draufpasst. Ganz ähnlich der Online-Mix: DJs wie Seitenbetreiber tun immer noch so, als sei er eigentlich eine Mix-CD, die sich zufällig ins Internet verirrt hat.

Littlewhiteearbuds.com

Die Kampfmaschine

Ganz anders: das Blogkollektiv Infinitestatemachine. Elf Blogger, die sich zusammengeschlossen haben, um die wahre, echte und nichtkorrumpierte Tanzmusik gegen alle Verwässerungen und Kommerzialisierungen zu verteidigen. Ja, bei Infinitestatemachine hat man es mit wirklichen Puristen zu tun, Leuten, die nur Geschmack haben und keinen Humor. Jungen Männern, die im stillen Kämmerlein lange Mixe zusammenstellen und die immer genau wissen, welche Platte gut ist und welche nicht. Im Zweifelsfalle hat die Mehrheit der Disco-, House- und Technohörer sie natürlich übersehen, weil die Masse noch nie wusste, was wirklich gut ist („the real shit for those who know“, lautet das Motto).

Das hört sich alles fürchterlich an. Thomas Cox, das Mastermind von Infinitestatemachine, ist eine in weiten Teilen des Internet gefürchtete Nervensäge, der als Rechthaber durch alle möglichen Diskussionsforen stiefelt und Streit sucht. Die Mixe auf Infinitestatemachine sind allerdings durchgehend wunderbar. Die Seite hat keine kommerziellen Ambitionen, es sind einfach elf Leute aus Pittsburgh, Dublin und London, die sich eine Plattform gebaut haben, um Musik zu teilen und sich auszutauschen. Viele Postings sind nur Gedanken, ganz ohne angehängte mp3-Datei. Disco, Chicago House und Detroit Techno markieren die Pole, zwischen denen das Selbstverständnis der Macher pendelt. Besonders zu empfehlen: die Mixe des Nervbolzens Pipecock.

infinitestatemachine.com