PeterLichts neues Pop-Album: Offensive ins Private

Angela Merkel ist eine melancholische Galionsfigur, der Kapitalismus macht weiter und die Liebe gewährt nur Rettung auf Zeit: PeterLicht präsentiert auf "Melancholie und Gesellschaft" federleichtesten Pop.

Szene aus PeterLichts "Sonnendeck" Bild: screenshot youtube

Sag doch einfach mal Nein. Oder besser: Sing es. "Neinnein, neinnein, na-ein, nei-ein." Das wärs doch: sich verabschieden, ausklinken, aussteigen. Über Verpflichtungen lachen, Forderungen fallen lassen, einfach mal weg sein. Ein Traum. Für den man nicht mal eine einsame Insel braucht. Ein kleines Wörtchen reicht: Nein.

PeterLicht hats getan. Er hat einen Song geschrieben für die Möchtegern-Neinsager. Ein Song mit einem leicht zu merkenden Refrain, einem beständig wiederholten "Nein". Das Beste aber: Es funktioniert, dieses Mantra der Negation. Der Verzicht auf Teilhabe, er lässt sich ersatzweise auch summen. Mit dieser Turbomeditation für verhinderte Verweigerer beginnt, nicht ganz zufällig natürlich, das neue Album von PeterLicht.

Es ist sein viertes, heißt "Melancholie und Gesellschaft", und auf ihm geht es ziemlich genau darum, was im Titel versprochen wird. Oder wie der Künstler im Gespräch ausführt: "Was produziert denn diese Gesellschaft? Der Kapitalismus? Traurigkeit und Melancholie." Vertont habe er konsequenterweise doch nur "all die Möglichkeiten, sein Leben zu verpassen: die Melancholie einer Aldi-Filiale, die Melancholie des Stellenmarkts in der Süddeutschen Zeitung, die Melancholie eines Solariums".

Ein Solarium? Melancholisch? Tatsächlich, meint der Künstler, wenn man mal ein wenig länger darüber nachdenkt: "Ein Solarium ist ein stiller Ort, ein Ort der Sehnsucht, ein Paradiesort, an dem man sein Glück sucht. So ein Solarium soll ja auch ein Jungbrunnen sein." Um zu wissen, wie traurig ein Besuch auf der Sonnenbank stimmen kann, muss man nicht selbst dort gewesen sein. PeterLicht jedenfalls war noch nie im Solarium, sagt er. Man glaubt es ihm sofort, so blass, wie er aussieht.

Mehr aber sei nicht verraten über diesen Mann, der vermutlich in Köln wohnhaft ist, seinen bürgerlichen Namen geheim hält und immer noch nicht sein Gesicht zeigen mag in der Öffentlichkeit, weil er findet, dass biografische Angaben mehr verschleiern als enthüllen. "Es geht um Wahrhaftigkeit", sagt er, "aber wer seine Adresse, Telefonnummer und DNA rausgibt, der ist doch nicht automatisch authentischer."

Von dieser anonymen Position aus beschenkt uns PeterLicht nun schon seit Jahren mit der federleichtesten Popmusik. Und mit dem unhaltbaren Versprechen, dass vielleicht ja doch womöglich und unter Umständen irgendwann mal alles schöner und tatsächlich strahlend werden möge. "Das Sehnen nach einer besseren Welt, das Verhältnis zwischen Utopie und Melancholie, das interessiert mich", sagt PeterLicht.

Einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg in eine bessere Welt wäre bekanntlich die Abschaffung der herrschenden Gesellschaftsordnung. So also sang PeterLicht vor zwei Jahren die "Lieder vom Ende des Kapitalismus". Blöderweise aber wollte der Kapitalismus von seinem Ende nichts wissen. Nach der missglückten Revolte folgt nun, man kennt das aus der Geschichte, der Rückzug ins Private. Nur dass PeterLicht diesen klassischen Reflex umgedeutet sehen will: "Das ist kein Rückzug, das ist eine Offensive ins Private."

Anders gesagt: Er setzt dem entfesselten Kapitalismus eine schutzlose Emotionalität entgegen. Also singt er vom Beziehungswirrwarr, das der moderne Mensch so anrichtet, vom Älterwerden und der Hoffnung, dass wir alle uns bald in netten Rentner-WGs wiedersehen. Er singt vom neuen Tag und davon, welch ein Glück es ist, einfach zu verschwinden. Er singt davon, dass es keine Feinde mehr gibt, dass unsere Herzen unpfändbar sind, und ja, er singt sogar auch manchmal von der Liebe.

So gesehen sind die Lieder von PeterLicht Popmusik im klassischen Sinne, indem sie Schlupflöcher aus der Wirklichkeit aufzeigen, Eskapismus bieten. Dabei sind sie klar und einfach strukturiert, von musikalisch milder Stimmung und bisweilen einfach schön bis zur Unerträglichkeit. Doch diese, wie der Schöpfer selbst sie nennt, "naiven Protestlieder" präsentieren die Liebe nicht als Rettung von allem Unbill. Das unterscheidet sie vom Schlager. Selbst die allmächtige Liebe gewährt bei PeterLicht nur eine Auszeit, ein wenig Erholung vor den An- und Überforderungen, denen der moderne Mensch ausgesetzt ist.

Ist das traurig? Vielleicht. Wahrscheinlich ist es vor allem logisch. "Die Popmusik ist am Endpunkt ihrer Vergeblichkeit angekommen", sagt PeterLicht, "die Popmusik ist vorbei. Der geisteswissenschaftliche Auftrag der Popmusik, Aufbruch, Revolution, Reaktion gegen Bürgerlichkeit, der hat sich erledigt." Das ist kein Grund zur Traurigkeit, höchstens - man denkt es sich bereits - zur Melancholie: "Angela Merkel ist eine melancholische Galionsfigur und die große Koalition ist eine melancholische Skulptur. Merkel kann heute in Converse-Schuhen auf dem Golf-Cart beim G-8-Gipfel sitzen, das wäre kein Problem. Es gibt keine Feinde mehr."

Das mag ja so sein. Nur: Warum macht PeterLicht dann noch Popmusik? Warum schreibt er nicht mehr nur, mischt den Literaturbetrieb auf wie im vergangenen Jahr in Klagenfurt, wo er der Bachmannpreisträger der Herzen war? Weil "das Leben ja auch nicht sinnlos ist, nur weil es mit dem Tod endet". Und weil es zum Glück den Umkehrschluss gibt: "Es gibt keine Feinde mehr. Oder: Es gibt nur noch Feinde." Hörbares Aufatmen im Auditorium. "Ich weiß zwar nicht, gegen wen ich vorgehen soll. Aber es geht mir manchmal so, dass ich gegen alles vorgehen möchte."

Also geht es weiter: gegen den Kapitalismus, den guten alten Feind, der nicht klein beigeben will. Aber auch immer wieder gern gegen dessen willfährige Büttel. Die in "Marketing" besungenen Werbestrategen zum Beispiel, die penetrant auf Sex setzen: "Ich möchte es nicht mehr sehen", entrüstet sich PeterLicht, "diesen inflationären Einsatz von Titten und Ärschen."

Wo er Recht hat, hat er Recht. Das ist das Faszinierende an der Musik von PeterLicht. Sie spricht einem aus dem Herzen, ohne jemals kitschig zu werden. Sie sorgt für Abstand, ohne eine ironische Absicherung nötig zu haben. Sie sucht nach den wahrhaftigen Momenten, und das mit dem Wissen, dass diese nie zu finden sind und man sich ihnen nur irgendwie annähern kann. Das macht diese Lieder dann auch politisch, dass sie ehrlich ihr Scheitern an der Wahrhaftigkeit schildern. Und sie sind dabei, man hat es sich längst gedacht, niemals zynisch, aber immer melancholisch. Sehr melancholisch.

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