Die Achse des R &rB von Tobias Rapp
Eine Tüte Aphorismen

Im Grunde war es für Mike Skinner alias The Streets nach seinem dritten Album vorbei. Der dramaturgische Bogen seiner Karriere schien abgeschritten. Erstes Album: eine brillante Erzählung nordenglischer Jugendleben-Tristesse, näselnd runtergerappt über selbstgemachten Beats. Zweites Album: Umzug nach London, Aufstiegsgeschichte, Lieder über das Leben in der großen Stadt, immer noch wirklich gut. Drittes Album: niederschmetternde Geschichten über Probleme, die mit dem Ruhm einhergehen, kaputte Hotelzimmer, Sex mit anderen Popstars, die ähnliche Probleme haben, einen aber trotzdem nicht verstehen. Klang auch nicht mehr so gut.

Für „Everything Is Borrowed“ hat Mike Skinner aus seinem Talent zum Kalenderspruch eine Platte voller Aphorismen gemacht: „I came to this world with nothing / And I leave it with nothing but love / Everything else is just borrowed“. „I wanna go to heaven for the weather / And to hell for the company“. „It hardly even know you but I like what I know“. T-Shirt-Machern reicht ein solcher Gedankenblitz pro Monat für die Miete. Hier geht das elf Stücke lang. Vielleicht ist es der nörglige Tonfall, warum man nicht aufhören kann, zuzuhören, vielleicht aber auch die Musik. Mike Skinner hat seinen britischen Rumpel-Hiphop mit einigen Instrumenten aufgemotzt. Eine große Platte.

The Streets: Everything Is Borrowed (Warner)

Zurück nach 1964

Jeder Gang in die popmusikalische Vergangenheit hat etwas von einer Reise in ein verlorenes Paradies. Damals, als die Songwriter/Musiker/Rahmenbedingungen besser waren, das waren noch Zeiten! Fast jedes Genre hat diese Bewegung schon mehrmals hinter sich gebracht. In der schwarzen Musik gab es die Neosoul-Bewegung der vergangenen Jahre.

Raphael Saadiq war einer der begabtesten Künstler dieser Szene, ein äußerst talentierter Produzent und Songwriter. Doch nun hat er offensichtlich den Verstand verloren. Was ja nichts Schlechtes ist. In „The Way I See It“ hat er schlicht das Neo aus Neosoul weggekürzt. Diese Platte hätte fast genauso auch 1964 erscheinen können. Saadiq hat nicht nur den unschuldigen Sonntagsschüler als Protagonisten wieder ausgekramt, dem es nur um einen Kuss geht, ein Starmodell, das in den vergangenen zwanzig Jahren doch ziemlich gründlich von einer Orientierung am Zuhälter verdrängt wurde. Er baut auch den Tambourine-Sound früher Motown-Platten nach, und lässt einen Chor „aha-aha“ machen. Dazu spielt Stevie Wonder Mundharmonika, als sei nichts gewesen.

Eine bizarre Platte. Warum es sie gibt, wo gerade alle Motown-Singles wiederveröffentlicht worden sind, wird in keinem Augenblick klar. Außer dass die Welt mit ihr sicher schöner ist als ohne sie.

Raphael Saadiq: „The Way I See It“ (Columbia)

Prototypische Mädchenmusik

Anderer Künstler, ähnliches Karrieremodell. Nur einiges erfolgreicher als bei Raphael Saadiq: Ne-Yo, oder Shaffer Chimere Smith, wie er mit bürgerlichem Namen heißt. Auch er hat sein Geld zunächst als Songwriter für andere Künstler verdient, von Mary J. Blige bis Michael Jackson. Dann wurde er Solokünstler: Im Jahresrhythmus bringt er Alben heraus, „The Year Of The Gentleman“ ist sein drittes, die ersten beiden landeten an der Spitze der US-Charts, das neue wird es auch schaffen.

Im amerikanischen R & B des vergangenen Jahrzehnts standen sich Zukunfts- und Vergangenheitsmusik ziemlich unversöhnt gegenüber: Wenn es Künstler gab, die über plockernde Cyberbeats sangen und Künstler, die ihre Musik als Verneigung vor den Großen der Siebzigerjahre sahen, so versucht Ne-Yo sich das Beste aus beiden Welten zu holen. Thematisch wie in den Arrangements ist dies meist klassischer R & B, aber das Sounddesign bemüht sich um Breitwandklang.

Dies ist prototypische Mädchenmusik. „Miss Independent“ himmelt Ne-Yo an, weil sie so unabhängig ist. „Fade Into The Backround“ handelt von dem unschönen Gefühl, langsam aus dem Leben des anderen zu verschwinden. Und die ziemlich brillante Single-Auskoppelung „Closer“ – nun ja, vom Tanzen.

Ne-Yo: „Year Of The Gentleman“ (Universal)