Fliegen kennzeichnen fiese Typen

Seit fast 20 Jahren zeichnet Guido Schröter Fußballcomics. Der Hamburger ist Fan des FC St. Pauli und hat es als Comic-Zeichner von der Fanzeitschrift „Millerntor Roar“ bis in die Samstagsausgabe der „Süddeutschen“ geschafft. Trotzdem ist er bei Comic-Liebhabern eher unbekannt

VON JULIAN KÖNIG

„Guido du Sack, warum hast du mir Fliegen um den Kopf gezeichnet?“, fragt der Veranstaltungsorganisator und ehemalige Fanbeauftragte des Fußballklubs FC St. Pauli, Sven Brux, als er den Hamburger Comic-Zeichner Guido Schröter in der Geschäftsstelle des Vereins begrüßt. „Hab ich? Daran kann ich mich gar nicht erinnern, dass ich dich mit Fliegen gezeichnet habe“, antwortet Schröter und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Fliegen hatten sonst nur Littmann und Mayer-Vorfelder“, schimpft Brux und klopft Schröter auf die Schulter.

Die Fliegen sind ein Stilmittel in Schröters Comics, um fiese Typen kenntlich zu machen. „Eigentlich mag ich Sven und ich habe mich auch schon selbst mit Fliegen gezeichnet“, verteidigt sich Schröter und schlägt zum Beweis ein Comic-Buch auf, das er zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 verfasste. Zu sehen ist er selbst: Verkatert in einem Bett liegend, die Rollos herunter gelassen und mit schwirrenden Fliegen ums Haupt. Die ersten Fliegen zeichnete er 1989 beim St. Pauli-Fanzine Millerntor Roar, einer Fanzeitschrift von Fans für Fans, bei der er auch Sven Brux kennenlernte.

Es ist ein Samstag im März 1989. Gemeinsam mit Freunden betritt Guido Schröter erstmalig die Gegengerade des damaligen Bundesligisten FC St. Pauli. Vorher hatte er mit Hamburger Vereinen nicht viel am Hut, drückte die Daumen für den VfB Stuttgart. Doch an diesem Nachmittag sollte sich dies grundlegend ändern. „Das Spiel war schlecht. St. Pauli gewann zwar durch ein Tor von Zander mit 1 : 0, aber das Spiel an sich hat mich nicht so sehr beeindruckt“, erzählt Schröter. Anders die Stimmung im Stadion: Schröter bekam das Erlebnis in der Gegengerade nicht mehr aus dem Kopf. Es war die nicht-aggressive, selbstironische und liebenswerte Art, mit der die Fans ihre Mannschaft anfeuerten und in der er sich wiederfand. Der damals 21-jährige Schröter fühlte, dass an diesem Nachmittag etwas Besonderes passiert war. Der Künstler wurde gepackt von der engen Verbundenheit zwischen Mannschaft und Fans – und mit einer ungeheuren Wucht mitgerissen. „Ich war von einer Sekunde auf die andere Fan“, sagt Schröter.

Daheim hielt er seine Erinnerungen an die Erlebnisse im Stadion fest und schickte sie wenige Monate später ans Millerntor Roar, das zuvor erstmalig erschienen war und dem Comic-Zeichner damals zufällig in die Hände fiel. „Ich bekam wenig später ein Schreiben von Carsten Gensing auf einem abgerissenen, völlig vergilbten Stück Papier. Seitdem habe ich für sie gezeichnet“, sagt Schröter.

Als sich Millerntor Roar im Jahr 1993 auflöste, fand Schröter im neu gegründeten Übersteiger einen neuen Platz. Im selben Jahr stieg sein Bekanntheitsgrad über den Stadion-Umkreis hinaus. Die Initiative Comickunst organisierte im alten Millerntor-Hochhaus in der Nähe des Stadions eine Comic-Ausstellung für deutschsprachige Künstler. Für Schröter ein Glücksfall in mehrfacher Hinsicht: „Der Eichborn Verlag ist dort auf mich aufmerksam geworden“, erzählt er. Vier Sammelbände seiner St. Pauli-Strips und ein Special zur Weltmeisterschaft 1998 wurden in den folgenden Jahren verlegt – sein Durchbruch, obwohl ihn, wie er anmerkt, mehr Fußballfans als Comicliebhaber kennen würden.

Außerdem ließ man den Künstlern bei der „Comopoly“-Ausstellung freie Hand. Da das Hochhaus ohnehin 1995 gesprengt werden sollte, wurden Wände eingerissen und alles nach Vorstellung der Aussteller realisiert. Schröter selbst „rockte“ bei der Ausstellung mit einer Stadion-Installation: Ein Kasten mit Sehschlitz, in dem seine Figuren aufgestellt waren und eine Endlos-Kassette mit Stadionmitschnitten das entsprechende Feeling erzeugen sollte. Alle paar Sekunden hörten die Zuschauer ein wiederkehrendes „Wollitz, steh auf!“

St. Pauli hat Guido Schröter sozialisiert, wie er sagt. Er wuchs als Einzelkind im Hamburger Stadtteil Bergedorf auf und schlug den bodenständigen Weg des BWL-Studenten ein. „Vielleicht wäre ich ein Anzugträger geworden“, sagt Schröter. Stattdessen geht er heute im Kapuzenpullover mit Totenkopfsymbol auf der Brust, dem Markenzeichen des FC St. Pauli, zur Arbeit und ist neben dem Zeichnen in der Steuerberatung tätig. Seine Woche teilt er zwischen beiden Jobs auf.

Die Gewissheit, nicht allein von der Kunst leben zu müssen, beruhigt Schröter. Er ist kein Draufgänger, auch wenn er sich selbst in seinen Comics gelegentlich anders darstellt. In seinem Leben ist er erst dreimal umgezogen, fährt seit Jahren einen Toyota Corolla und auch im Stadion steht er immer an der selben Stelle. „Ich bin nicht gegen Veränderungen, lehne Beständiges aber auch nicht ab“, sagt er.

Seine Comics sind reifer geworden. Abgesehen von minimalen Proportionsänderungen von Körperteilen, sowie bei den Requisiten in seinen Bildern, hat er vor allem eine klare Linie in seinen Strips gefunden. „Er ist viel professioneller geworden und sein Humor ist subtiler“, sagt Freund und Übersteiger-Mitbegründer Ronny Galczynski. Die Professionalität hat sich Schröter vor allem in den letzten Jahren angeeignet. Nachdem verschiedene Stadionzeitungen, unter anderem auch die des Lokalrivalen Hamburger SV, seine Comics veröffentlichten, wurden auch Zeitungen und Zeitschriften auf ihn aufmerksam.

Seit 2004 erscheint jedes Wochenende ein Strip von Schröter in der Süddeutschen Zeitung und auch einen Abstecher ins Fernsehen haben die Figuren des 41-jährige hinter sich. Seine Comic-Helden liefen zwischen Januar und Mai 2007 in animierter Form vor der ARD-Sportschau und anschließend bis zur Rückrunde der Bundesligasaison 2007 / 2008 beim Pay-TV Sender Premiere und erlangten so einen weitreichenden Bekanntheitsgrad. Neunzehn Jahre nach seinem ersten Stadionbesuch hat Schröter eine lebenslange Dauerkarte. Gemeinsam mit seinem Kumpel und Leidensgenossen „Paddel“ fährt er mit dem Rad zum Heimspiel. Sie halten in der Karolinenstraße bei einem Dönerladen an und trinken die erste Astra-Knolle. Eine Stunde vor Spielbeginn stehen sie auf ihrem Stammplatz in der Gegengeraden – in der Hand das zweite Pils. An diesen Nachmittagen holt sich Schröter seine Inspiration. Die Geschichten erlebt er auf dem Weg zum Spiel, währenddessen oder hinterher, wenn er sich mit anderen Fans im „Le Kaschemme“, seiner Stammkneipe, auf das nächste Bierchen trifft. „Ein Heimspiel dauert 12 Stunden“, sagt Schröter, rückt seinen Scheitel zurecht und ergänzt: „Man muss immer die Augen offen halten. Wenn ich bei St. Pauli bin, dann arbeite ich.“

Für die Zukunft hat Schröter nur noch einen Wunsch: „Ich will Präsident von St. Pauli werden“, sagt er. Wenn das nicht klappen sollte, dann zeichnet er sich in einem seiner Comics als solchen. Stilecht – natürlich mit Fliegen.