Neue Pop-Acid-Platte: Zum Kern der Musik zurück

Für sein Album "Future Chaos" hat der englische Produzent Bomb the Bass mit einem einzigen Instrument, dem Mini-Moog-Synthesizer, gearbeitet.

Der englische Produzent Bomb the Bass alias Tim Simenon. Bild: PROMO

Die Welt dreht sich längst anderswo. Das bereitete dem englischen Produzenten Bomb the Bass alias Tim Simenon erst ziemlich viel und dann plötzlich gar kein Kopfzerbrechen mehr. Zur Jahrtausendwende war Tim Simenon ausgebrannt. Sein Job als Produzent hatte ihn leergesaugt, Deejayen macht ihm keinen Spaß mehr, von der eigenen Musik ganz zu schweigen. Der ewige Professionalismus ödete ihn an.

Er gab daraufhin sein Aufnahmestudio auf und zog mit leichtem Gepäck von London nach Amsterdam. Jetzt lassen sich erste Ergebnisse dieser Radikalkur nachhören. Vor kurzem ist ein neues Bomb-the-Bass-Album erschienen, es heißt "Future Chaos": Der Titel sei, so Simenon, eine Hommage an Punkrock und an den Zukunftsglauben der elektronischen Musik. Anecken mit minimalistischem Werkzeug, in dieser Verbindung gabs das noch gar nicht.

Die Gesangslinien der neun Tracks haben zwar verschiedene Sänger beigesteuert, aber die Musik hat Simenon mit einem einzigen Instrument geschaffen, dem Mini-Moog-Synthesizer. Dessen warme Klangpalette - sie rührt vor allem von den monophonen Keyboardsounds her - hat er sich en détail zu eigen gemacht und großartige Modulationen, aber auch seltsame Zwischentöne und zwitschernde, knipsernde und cremige Geräuschkaskaden aus den Filtern des alten schwarzen Kastens herausgeholt. Selbst Bass und Drums sind mit dem Minimoog generiert.

"Ich wollte zum Kern der Musik zurückkehren: Das ist die Rhythmussektion, also die Anatomie von Bass und Drums. Daran habe ich mein Songwriting ausgerichtet", erklärt Simenon. "Das bedeutete vor allem, das ich die Plug-ins und Effektgeräte ausschalten musste. Digitales Musikmachen hat zu unendlich vielen Wahlmöglichkeiten geführt. Für mein neues Album habe ich diese bewusst außer Acht lassen. Genauso die Tricks, die ich im Laufe der Zeit übers Produzieren gelernt hatte." Das klingt so einfach, aber es ist Tim Simenon anzumerken, wie mühsam dieser Prozess gewesen sein muss. "Future Chaos" stellt sein bisheriges Schaffen auf den Kopf: Jetzt klingt seine Musik persönlich und befreit von den Zwängen, möglichst anschlussfähig zu sein.

Auf die Frage, womit man seine Musik mixen solle, antwortet er schulterzuckend: die Sex Pistols. "Ich bin in einem multikulturellem Londoner Umfeld aufgewachsen, wo niemand Grenzen zwischen sich und seiner Musik gezogen hat. Ob das jetzt Punk oder Gothic oder Dubreggae war, alles hatte die gleiche Wertigkeit. Und das gilt heute auch noch."

Begonnen hatte alles in Brixton, 1988, von wo aus der 19-järige mit englisch-malaiischen Wurzeln mit "Beat Dis" die Charts über Nacht stürmte. Der Track kostete seinerzeit lächerliche 150 Pfund und half mit seinem grobmotorischen Samplingspielereien das Acid-House-Fieber in England mitzuentfachen. Mit drei, vier weiteren Tracks und anderen Abmischungen von "Beat Dis" brachte Bomb the Bass im gleichen Jahr ein Album namens "Into the Dragon" heraus. Den Rest erledigten Smiley-Aufkleber und die damals florierende illegale Rave-Kultur.

Obendrein bescherte "Beat Dis" seinem Schöpfer Remixjobs und Produzentenaufgaben, an denen er wachsen konnte. "Es war viel Anfängerglück mit im Spiel", gesteht Simenon rückblickend. "Aber es herrschte auch eine grandiose Gedankenlosigkeit. Man musste keine formelle Musikausbildung durchlaufen haben, um 1988 Ideen für Tracks in Musik umzusetzen. Die Euphorie war ziemlich punkig und doch habe ich mich auch als Musiker mit Masterplan verstanden."

Im Namen Bomb the Bass steckt eine Verneigung vor Simenons erklärten Helden, dem Produzententeam Bomb Squad, das für den Sound der New Yorker Rapcrew Public Enemy verantwortlich war. "Bomb the Bass heißt, die Tanzfläche mit Bässen zu bombardieren, ergo die Menschen mit musikalischen Ideen zu bombardieren. Das ist positiv gemeint. Bombing ist ein Slang aus der Graffiti-Szene, es ist ein anderes Wort für Sprühen. Sprühen ist rüde und aber auch kunstvoll. Und das bringt mich zur Bomb Squad. Das Sampling-Design war irre schlampig, aber funkig und sie hatten zudem die Fähigkeit, die rohe Energie der Platten auch live umzusetzen."

"Future Chaos" verklärt die Vergangenheit nicht zur Nostalgie. Simenon selbst bezeichnet sich als "Junk Scientist" und sagt, dass die Sounds aus dem Mini-Moog zwar auch gesamplet seien, nur eben viel subtiler. Sampling entstehe heute eher unbeabsichtigt, im Zusammenwirken der verschiedenen Synthesizersounds. Und doch kreiert er damit unverwechselbares Klangmaterial. Man muss nicht die Ahnen Kraftwerk oder Human League kennen, um von der Pop-Acid-Musik von Bomb the Bass eingenommen zu sein.

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Julian Weber, geboren 1967 in Schweinfurt/Bayern, hat Amerikanische Kulturgeschichte, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie in München studiert und arbeitet nach Stationen in Zürich und Hamburg seit 2009 als Musikredakteur im Kulturressort der taz

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