visionen, revisionen etc.
: Zur Sonne

Wir schreiben das Jahr 2013. Der Bundeskanzler, die Bundeskanzlerin verkündet die Agenda 2030. Es ist die Agenda eines neuen, linken Liberalismus, die Christian Rickens im Epilog seines Buchs „Links – Comeback eines Lebensgefühls“, erschienen bei Ullstein, beschwört. Der Autor hat darin einen Traum: einheitliche Steuergesetze, Steuerpflicht für jeden deutschen Staatsbürger, Nein zur weiteren Privatisierung von Bahn-, Strom- und sonstigen Netzwerkindustrien, Ja zum staatlich garantierten Existenzminimum und Abschaffung der alten Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Seine Kernfrage lautet: Wie funktioniert soziale Gerechtigkeit in Zeiten der Globalisierung aus linker Perspektive? Einer Perspektive, die nichts mehr mit der Sozialdemokratie zu tun hat, die in den 70er-Jahren begann, den Sozialstaat in den Ruin zu wirtschaften; ein Zerstörungswerk, so Rickens, das alle nachfolgenden Regierungen fortgesetzt hätten und das die Spaltung der SPD vorantreibe.

In seiner Utopie von einer neuen Linken, sind Marktwirtschaft und Wettbewerb willkommen und pauschalisierende Globalisierungskritik von gestern. Der Staat hat Oberhoheit über ausgewählte öffentliche Bereiche. Jeder Bürger erhält 600 Euro Existenzgeld im Monat sowie einen Gutschein für eine Kranken- und Pflegeversicherung. Warum allerdings Spitzenverdiener nicht erst im Fall ihrer Arbeitslosigkeit vom Staat gesponsert werden sollen, darauf hat Rickens keine überzeugende Antwort. Plausibel klingt dagegen, dass die Sozialversicherungsbeiträge Armutsbeschleuniger sind, die Arbeitskosten hochtreiben und den Arbeitnehmern sinkende Reallöhne und Arbeitslosigkeit bescheren. Rickens fordert einheitliche Steuersätze für alle Einkommensarten, nicht nur auf Arbeit, sondern auch auf Zins- und Kapitalvermögen. Eine „Beckenbauer-Tax“, so sein Vorschlag, helfe ein Solidarsystem neuer Prägung zu finanzieren. Wie schon in seinem Buch „Die neuen Spießer“ stellt Rickens alte Denkmuster unterhaltsam auf den Kopf. Der jüngste Eklat bei der alten Tante SPD bestätigt seine Thesen, dass die Linke reif ist für eine Revision. Nichts gegen Seit-an-Seit-Schreiten, so könnte man Rickens auf den Punkt bringen, aber bitte „Klüger zur Sonne, zur Freiheit“. Von einer „Tauchfahrt in die Vergangenheit“ mit der Linkpartei rät der Autor ab. Linkssein vertrage sich weder mit Protektionismus noch mit „Lafontaine’schem Gerede von Fremdarbeitern“.

AGNES STEINBAUER