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: Tage und Wolken

Silvio Soldini gilt seit „Brot und Tulpen“ als Regisseur, der das Märchen von der zweiten Chance verführerisch erzählt. Millionen schmolzen dahin, als eine ihrer hysterischen Familie verloren gegangene Hausfrau in Venedig das einfache Leben lieben lernte. Acht Jahre später knüpft Soldini wieder an die Erzählkraft einer Paargeschichte und den Zauber einer italienischen Stadt an, doch die Romantik des Regisseurs hat Kratzspuren bekommen.

„Tage und Wolken“ handelt von einem Paar in den besten Jahren, das aus dem Wohlstand katapultiert wird. Wie lebt man, wenn die Eigentumswohnung, das Boot, das Auto, die bourgeoisen Freunde weg sind? Wie verändert sich die Beziehung? Wie kommen beide aus dem Schlamassel heraus? Das Ende bleibt offen, anders als in einer typischen Überlebenskomödie interessiert sich Soldini eher für das Stimmungsbild der Niederlage. Es geht um die Gefühle und Entscheidungen eines Paares, das trotz Deklassierung zusammen bleibt.

Schauplatz ist Genua, dessen blaugraue Herbst-Silhouette mit dem Meer und den Bergen im Hintergrund von grandioser Größe und Dauer kündet, während die nervösen Nahaufnahmen des Films in einen Innenstadt-Moloch von implodierender Panik eintauchen. „Tage und Wolken“ ist ein Krisenporträt, der lyrische Titel und die fantasievolle Weltmusik des Scores tragen zwar aus der Misere heraus, doch der surreale Alltag der Hauptakteure lässt an den leichten Lösungen zweifeln. Elsa (Margherita Buy), eine zerbrechliche Bella-Figura-Dame, hat spät ihren Doktor in Kunstgeschichte gemacht und bringt ohne Entlohnung ihr Wissen bei Restaurierungsarbeiten in einem Renaissance-Palazzo ein. Michele (Antonio Albanese), ein Fellini-Glatzkopf, ist Schiffsbauingenieur in einer eigenen Mittelstandsfirma. Elsas Promotion wird mit einer schicken Party gefeiert, erst in der Katerstimmung danach gesteht Michele seiner Frau, dass er schon Monate zuvor aus der Firma gekickt wurde und vergebens versuchte, eine gleichwertige neue Stelle zu finden.

In Ellipsen folgt man dem Paar, wie es mit dem Schock gegenseitiger Offenheit umgeht, den Kassensturz macht und zunächst hoffnungsvoll die Fassung bewahrt. Elsa landet im Call-Center und als Sekretärin in der Spätschicht eines globalisierten Reedereibüros, Michele übernimmt Botendienste und Handwerkerarbeiten. Soldini jongliert hemmungslos mit Klischees, aber seine Tragikomödie trifft im Detail den richtigen Ton. Durch humanistischen Kitsch hindurch dringt ein Diskurs über den neoliberalen Arbeitsmarkt, der „Flexibilität“ und das Loslassen überkommener Sicherheiten fordert und damit Niedriglohn, Dequalifizierung und Raubbau meint.

CLAUDIA LENSSEN

„Tage und Wolken“. R.: Silvio Soldini. Mit M. Buy, A. Albanese. Italien 2008