Buchmesse: Suche nach Anerkennung

Auf Augenhöhe mit der Macht: Orhan Pamuks spricht zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse über Meinungsfreiheit und die Verfolgnung von Autoren. Staatspräsident Gül dankt dem Autor.

Ein eher schmächtiger Mann mit dem freundlichsten Lächeln der Welt. Bild: dpa

Uwe Tellkamp vermeidet subjektiv gefärbte Sätze. Er sagt: "Das Leben hat einen geformt" oder, um der Frage zuvorzukommen, was der Buchpreis nun bewirken werde: "Das Tagwerk wird weiter jeden Morgen mit einem leeren Blatt beginnen." Kein Personalpronomen, nirgends. Genau das Gegenteil macht Orhan Pamuk. Er bindet das Sprechen über Literatur gerne in subjektive Erinnerungen und Erfahrungsberichte ein. Als Festredner bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse erzählte er davon, wie er vor 18 Jahren als noch unbekannter Autor über die schiere Größe der Veranstaltung staunte. Wer sollte sich in so einem Trubel ausgerechnet für ihn interessieren?

Der Dreh seiner Rede war, dass er seine eigene Suche nach Anerkennung mit einem kollektiven Wunsch nach Anerkennung der türkischen Kultur insgesamt gleichsetzte. Wenn es den vorletzten Absatz der Rede nicht gegeben hätte, hätte man sie wahlweise als "feinsinnig" loben oder als "leicht selbstverliebt" kritisieren können. In diesem vorletzten Absatz aber redete Orhan Pamuk Klartext. Er erwähnte die Verfolgung von Schriftstellern in der Türkei, erwähnte auch die ermordeten Autoren und kam auf die Zensur des Internets zu sprechen.

Der Herr vor mir in der Reihe im Festsaal, der, als Pamuk auf Türkisch redete, kein Übersetzungsheadset brauchte, wurde dabei sehr rot im Gesicht. Leider ging er nach der Veranstaltung so schnell, dass ich nicht mehr herauskriegen konnte, ob er sich über die klaren Worte der türkischen Nobelpreisträgers gefreut oder zutiefst geärgert hat. Als Pamuk sie gesprochen hatte, war spontan Applaus im Publikum aufgekommen. Wegen dieses vorletzten Absatzes wird die Rede im Gedächtnis bleiben. Und wegen der Reaktion des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül. Für einen kurzen Moment fing die Kamera sein Gesicht ein und übertrug es auf die Großleinwand. Er saß ein wenig schief in seinem Stuhl, verzog aber keine Miene. Seine Frau, die mit Kopftuch neben ihm saß, warf schnelle besorgte Blicke auf ihn.

In seiner sich anschließenden Rede dankte Gül dann Pamuk ausdrücklich, zwar nicht für die aktuelle Rede, aber für die weltweite Anerkennung, die durch seine Bücher die türkische Sprache erfahren würde. Gül sagte auch, die Türkei sei stolz auf Pamuk und seinen Nobelpreis. Das war ein klares Bekenntnis des türkischen Staatspräsidenten zur Meinungsfreiheit. Außerdem pries Gül noch Vielfalt und Offenheit als die Maßstäbe von Kultur. Und dann folgte ein Satz, der wirklich erstaunlich ist: "Es gibt noch viel, was wir hier tun müssen." Sie arbeiten dran! Gül war sehr entschlossen, sich liberal zu zeigen.

Pamuk, ein eher schmächtiger Mann mit dem freundlichsten Lächeln der Welt, hatte zuvor die Bedingungen dessen klargemacht: Dann muss Gül auch deutliche Kritik ertragen. Und Gül ertrug sie. So wurde das Sprechen über Literatur zum Rahmen, um sich gegenseitig die Notwendigkeit gesellschaftlicher Modernisierung zu versichern. Auf solcher Augenhöhe mit der Macht agiert Literatur aber natürlich nur in Ausnahmesituationen. Was sich dafür immer mehr zu vermehren scheint, sind die Möglichkeiten, über Literatur und Messe einfach mal ein bisschen was zu quatschen.

Die FAZ gibt eine tägliche kostenlose Messezeitung heraus, mit viel Gossip und Klatsch, alles prima - seltsamerweise wurde die Eröffnung der Messe aber nur in Kurzform abgehandelt. Hübsch blasiert dafür mancher Blog, der in der gestrigen ersten Ausgabe der Messe-FAZ gekürzt abgedruckt wurde. Blogs sind offenbar das ideale Medium für Menschen, die bei Veranstaltungen dabei sein, aber auch immer irgendwie drüberstehen wollen.

Die Autorin Andrea Diener bloggt schon seit ein paar Jahren über die Buchmesse, nun also für die FAZ. "Andrea Diener ist die aufregendste und anregendste literarische Bloggerin", steht zur Info auf der FAZ-Homepage zu lesen. Na dann. Jedenfalls kann einem an ihren aktuellen Beiträgen mal wieder die interessante Schizophrenie so eines Bloggerinnenlebens klar werden. Während man sich als normaler Besucher der Eröffnungsveranstaltung darüber ärgerte, vor den Einlasskontrollen in der Besucherschlange hängen zu bleiben, denkt eine Bloggerin wahrscheinlich: Toll, da habe ich ja mal wieder was zu bloggen.

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Dirk Knipphals, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Kiel und Hamburg. Seit 1991 Arbeit als Journalist, seit 1999 Literaturredakteur der taz. Autor des Sachbuchs "Kunst der Bruchlandung. Warum Lebenskrisen unverzichtbar sind" und des Romans "Der Wellenreiter" (beide Rowohlt.Berlin).

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