lehre, leere etc.
: Anselm Kiefer in der Paulskirche

Ein Mann, der hält, was man sich von ihm verspricht: Anselm Kiefer blieb in seiner Dankesrede für die Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels dem Bild treu, das seine Laudatoren von dem Maler und Bildhauer gezeichnet haben. Das war in anderen Fällen nicht immer so. Vor zehn Jahren sorgte der Preisträger Martin Walser mit seiner Rede für einen Skandal und löste eine erregte Diskussion über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit aus, weil er sich dabei gegen die „Instrumentalisierung unserer Schande“ gewandt hatte. Seitdem ist die Aufmerksamkeit für die Zeremonie der Verleihung, die als feierlicher Schlussakkord der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche stattfindet, gewachsen, und man erwartet, dem Label „Friedenspreis“ gemäß, Worte von historischer Tragweite.

Schon der Kunsthistoriker Werner Spies, Juror und Laudator, hatte Kiefer als einen Künstler gewürdigt, der „besessen“ gegen das Vergessen angehe, und auch Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, rückte Kiefers Agieren im „Spannungsfeld der Geschichte“ in den Mittelpunkt. Und so plädierte Kiefer denn in seiner eigenen poetisch formulierten Rede für die Auseinandersetzung mit der schmerzhaften deutschen Geschichte. „Eine sogenannte Stunde null gab es in Wirklichkeit nie“, sagte er mit Blick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Versuch, die Vergangenheit abzustreifen. Auch in der jüngeren Geschichte sieht er die Kräfte der Verdrängung weiter am Werk – „Wieder eine Stunde null für alles, was sich vierzig Jahre im anderen Teil Deutschlands ereignete hatte“ – und mahnte, „nicht alle leeren Räume in unserer Welt zuzuschütten“. Seiner Meinung nach hätten der „Todesstreifen“ an der innerdeutschen Grenze und auch der Potsdamer Platz in Berlin als leere Flächen und damit als „Meditationsräume der Geschichte“ erhalten werden müssen.

Ebenso wie in seinen Werken betonte er auch in seiner Rede die Bedeutung der Mythologie, die Ungutes hervorbringe, wenn man sich ihr nicht stelle, sondern sie ins „kollektiv Unbewusste“ versenke. Und so hob er genau jene Themen hervor, für die er international auch gerade als Künstler aus Deutschland so angesehen ist.

Den Verdacht allerdings, dass die Jury des Börsenvereins mit der diesjährigen Auszeichnung vor allem auf staatstragende Bedeutung, einen moralischen Gestus und großspurige Formate setzte, konnte auch dieser Festakt nicht ausräumen. Der ungewöhnlichen Wahl eines bildenden Künstlers zum Trotz bewegte man sich ganz auf der sicheren Seite der Mahner und Warner, ohne sich dem unsicheren Feld der Künste der Gegenwart zu stellen. KATRIN BETTINA MÜLLER