Der Exzess klemmt

Karikatur vergangener Verhältnisse: Jan Bosse inszeniert am Wiener Burgtheater „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Leider weiß er nicht, was an Edward Albees Ehemodell heute brisant wäre

Noch die Wut, mit der Joachim Meyerhoff als George am Ende die Wohnstubenbox kurz und klein haut, entspringt deutscher Gründlichkeit

VON EVA BEHRENDT

Die Gladiatoren marschieren durch den Zuschauerraum ein. Christiane von Poelnitz stöckelt angeschickert und arschwackelnd voraus, die Großraumhandtasche unter die Achsel geklemmt, Sonnenbrille auch im dezent beleuchteten Burgtheater demonstrativ auf der Nase. Sie spielt Martha, die Tochter des Universitätspräsidenten im Campusstädtchen New Carthago, einst eine prachtvolle Partie und noch immer mit Vorzügen ausgestattet, die es wert sind, ausführlich gedehnt und geräkelt zu werden.

Leider hat sie sich damals für einen Geschichtsdozenten entschieden, der die Karrieresteilvorlage dieser Ehe nicht in das erlösende Tor verwandeln konnte. Joachim Meyerhoffs George hat seiner Frau nie das Wasser reichen können, höchstens eine neue Whiskeyflasche. Der aus der Form geratene Oberstudienrat gibt jedoch den Kampf nicht auf: Er folgt Martha gemessenen Schrittes und verbirgt hinter dröhnender Souveränität, dass er sich gleichzeitig vor Frauchen fürchtet und für sie schämt.

Edward Albees legendär saufseliges Edelboulevardstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ setzt dort ein, wo beide Protagonisten die 40 überschritten haben und wissen, dass die Erfüllung ihres bourgeoisen american dream gescheitert ist. Den zueinander verdammten Partnern bleibt nicht viel übrig, als sich im totalen Ehekrieg immer wieder aneinander zu rächen, wobei sich im Laufe des Dramas herausstellt, dass dieser Krieg auch ein Spiel ist, mit dem sich die kinderlos Gebliebenen angeregt die Zeit vertreiben. Jan Bosses Besetzung der Kombattanten mit dem Traumduo von Poelnitz und Meyerhoff verspricht Zündstoff, da beide auch im wirklichen Leben ein Paar und junge Eltern sind.

Zunächst zerren die beiden das Bühnenbild an die Rampe. Stéphane Laimé hat gleich mehrere Wohnzimmergarnituren nebeneinander in einen flachen Kasten gestopft und mit je einem Ikea-Accessoire in Serie gepflastert: gerahmte Fotos, japanische Lampions, bunte Archivkästen und ein paar Dutzend Whiskeyflaschen. Schießlich schauen gleich Jungbiologe Nick und seine Frau mit dem sprechenden Namen Putzi auf einen Absacker vorbei. Das jüngere Paar zerrspiegelt das ältere, dient als Publikum und als Punchingball. Bis zur Pause drehen Katharina Lorenz und Markus Meyer, von Kostümbildnerin Kathrin Plath mit Sixpack und Oberweite zu Barbie und Ken aufgepolstert, jedoch nur dümmlich grinsend die Däumchen, während Meyerhoff und von Poelnitz dem Spießer und dem sexy beast Zucker geben.

Jan Bosse inszeniert wie so oft über die Rampe hinweg. Meistens steht einer der vier auf der Zuschauerseite: Die da vorne sind also welche von uns. Ach ja? Bosse, der im Theater gerne „die Mitte“ betrachtet, in der er sich „zu Hause wähnt und fremd fühlt“, scheint dieser Ehrgeiz diesmal verlassen zu haben. Warum sonst übernimmt er Albees Ehemodell der frühen 60er-Jahre, in dem „die Karriere des Mannes durch das Loch seiner Frau geht“, wie es in der Wiener Fassung so hübsch heißt, in der die Frauen nicht arbeiten, sondern sich über die Jobs der Männer und das Geld ihrer Väter definieren, mit der allergrößten Selbstverständlichkeit? Und was bleibt ihm dann übrig, außer der lahmen Dauerkarikatur vergangener Verhältnisse?

Die schmale Botschaft, auf die Bosses gebremst spaßige Inszenierung hinausläuft, steht auch schon bei Albee: Liebe wird erst möglich, wenn die unterm Deckmantel der Romantik geschlossenen Statusgewinngemeinschaften gründlich demaskiert und ruiniert worden sind. Folglich kriegen die jungen Crashtestdummies erst dann ein menschenähnliches Antlitz, als Martha und George den materialistischen Zweck ihrer Ehe entlarvt haben, Putzi sich über sämtlichen Sofas erbrochen hat und Nick der Gastgeberin sexuell zu Diensten war. Überhaupt klemmt und bremst der Exzess, den Bosse seinen Spielern verordnet, an allen Ecken und Enden. Zu den Running Gags zählt eine zum Klo umfunktionierte Archivbox, und selbst die Wut, mit der Meyerhoffs George zum Schluss die Wohnstubenbox kurz und klein haut, entspringt weniger leidenschaftlicher Eifersucht als deutscher Gründlichkeit.

Immerhin ist nach drei Stunden klar geworden, dass die nervige Frage, wer Angst vor Virgina Woolf hat, unbesorgt auf dem Theaterdachboden eingemottet werden kann.