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: Fotografen auf der Couch

Von Henri Cartier-Bresson bis Andreas Gursky: Einblicke ins Bildermachen liefert die Reihe „Kontaktabzüge“

Im Jahr 1986 hat der Fotograf, Maler und Filmemacher William Klein eine geniale Idee. Für ein filmisches Porträt seiner fotografischen Arbeit öffnet er dem Blick der Kamera das Archiv seiner Kontaktabzüge. Er lädt die Filmkamera ein, sich im Raum jener für die erste Übersicht versammelten Positiv-Zwischenbilder zu bewegen, die der Kontaktabzug enthält. Zu verfolgen ist im Gleiten und Verharren des filmischen Bilds die Entstehung fotografischer Bilder in chronologischer Folge. Zu hören ist dazu der Kommentar des Fotografen und Filmemachers William Klein, der erzählt, welches die Umstände waren, unter denen er die Bilder gemacht hat. Wir sehen im Krampf sich windende Tänzer auf den Straßen von Tokio. Wir sehen die Beerdigung des Kommunistenführer Jacques Duclos in Paris. Wir sehen Aufnahmen aus dem Harlem des Jahres 1954.

Man sieht die Filmkamera sich gleitend, stockend, springend über die Oberfläche der Kontaktabzüge bewegen. Sie verharrt auf dem Kontaktabzug bei Bildern, von denen William Klein sagt: „Das ist kein Foto.“ Die Kamera gleitet weiter, dasselbe Motiv erscheint im nächsten Bild leicht verändert, und William Klein sagt: „Das ist fast schon ein Foto.“ Und dann verharrt die Kamera, wir sehen auf dem Kontaktabzug ein rot umrandetes Bild desselben Motivs: „Da!“, sagt William. „Alles hat sich verändert, alles hat sich organisiert. Da! Ein Foto!“ In seinem Selbstporträt zeigt William Klein sich als Fotografen bei der Arbeit. Er schreibt die Biografie dieser Arbeit als Handwerk, in das der Zufall pfuscht, als Zufall, dem der Fotograf das Handwerk legt: „Da! Ein Foto!“

Kleins filmisches Selbstporträt als Fotograf entstand für den französischen Kulturkanal La Sept, der dann in Arte aufging. Das Prinzip dieses Films hat die Redakteure so überzeugt, dass sie beschlossen, eine ganze Reihe weiterer Fotografen-Porträts in derselben Form zu drehen. So entstanden mehr als 30 weitere Filme von jeweils knapp 15 Minuten Länge, gedreht allerdings von wechselnden Regisseuren, die die porträtierten Fotografinnen und Fotografen aufsuchten. Ein halbes Selbstporträt gibt es noch, von Raymond Depardon, der auch zugleich Filmemacher und Fotograf ist. Er hat für das Porträt einen atemlosen Monolog geschrieben und spricht ihn auch selbst, einen Monolog allerdings, der weniger erhellt, was auf den Kontaktabzügen zu sehen ist, als dass er einen Teppich aus Worten über die eigenen Bilder breitet.

Überhaupt wechseln die Strategien. Josef Koudelka sagt, dass er wenig zu sagen hat übers eigene Werk, und macht seltsame Musik. Henri Cartier-Bresson fühlt sich, gesteht er, beim Anblick der Kontaktbilder exponiert wie auf der Couch des Psychoanalytikers, lässt sich davon aber nicht weiter stören. Andreas Gursky wird autobiografisch und erzählt, wie er sich aus dem Schatten des Vaters, der Werbefotograf war, befreite. Thomas Ruff zeigt, wie er in seine digitalen Bilder manipulierend einzugreifen begann. Bernd und Hilla Becher erinnern sich an die ersten ihrer später so berühmten Aufnahmen von Industriebauten und bleiben sonst ganz technisch und sachlich. Edouard Boubat sagt am Ende des Films: Ich gehe jetzt hinaus auf die Straße, ich nehme meine Kamera mit. Vielleicht wartet ein Foto auf mich.

Das Prinzip der Beschränkung auf den Kontaktabzug lässt sich nicht durchhalten, teils mit sehr guten Gründen. Jeff Wall überführt fotografische Bilder in andere Zustände. Er wird zum Fotografen als Regisseur, der seine Motive arrangiert und inszeniert, deshalb sieht man, kurz nur, aber doch in seinem Porträt selbst schon bewegte Bilder, Videoaufnahmen vom Set, als das sich die fotografische Szene bei ihm darstellt. Das Prinzip Kontaktabzug verliert aber auch bei John Baldessari seinen Sinn, der mit gefundenen Bildern arbeitet, diese übermalt, kombiniert, manipuliert. Die „Kontaktabzüge“-Reihe führt so mit filmischen Mitteln Entgrenzungsbewegungen vor, Übergänge der Fotografie zum Film, Übergänge zur Kunst. Sie setzt die unbewegten Bilder in Bewegung und macht die Fotografie sprechen, der es – mit einem Wort Roland Barthes’ – nicht gegeben ist, zu sagen, was sie zeigt. EKKEHARD KNÖRER

Die drei DVDs der Reihe sind sowohl einzeln, ab je rund 16 Euro, als auch in einer Box für rund 50 Euro erhältlich