Zurück in der Dartmouth Road

Catherine Fried hat Erinnerungen an ihren Mann, den Lyriker Erich Fried, geschrieben. Unser Autor war damals in London mit dabei

Catherine Fried hat 20 Jahre nach Erichs Tod die Zeit und den Mut gefunden, ein Buch über ihre Ehe zu schreiben. Es ist eine amüsante Hommage an einen genialen, Chaos stiftenden Mann mit einer großen Familie mit Kindern, Halbgeschwistern, Viertelbrüdern, ehemaligen Ehefrauen und seiner Mutter. Dazu kamen noch die vielen Genossen wie Rudi Dutschke als Babysitter, Fritz Teufel als Apfelstrudelbäcker und die vielen Bekanntschaften von Lesereisen und die „Retter der Welt“, die sich einquartierten, diskutierten, Haus und Garten besetzten und nicht hinausgeworfen werden durften. Das ging so weit, dass manchmal sogar Zelte im Garten aufgebaut wurden, um die Aufenthalts- und Schlafmöglichkeiten zu erweitern.

Ich selbst war einer dieser „Hausbesetzer“ in der Dartmouth Road in London und wunderte mich schon damals über die Langmut und die Geduld von Catherine Fried. Den Mut, zu fragen, wie sie sich dabei fühlte, hatte ich nicht aufgebracht. In ihren Erinnerungen ist sie ohne Groll und schildert die chaotischen Situationen mit Humor und Verständnis für den Kerl, den sie beim ersten Treffen als „ziemlich klein, ziemlich dick und ziemlich hässlich“ empfand. Von Erichs Klugheit, Freundlichkeit und Warmherzigkeit war sie aber schnell fasziniert. Seine schrulligen Eigenheiten schildert sie nun amüsant und recht ausführlich. Aufmerksame Leser können zwischen den Zeilen herausfinden, dass der Preis für das Zusammenleben mit einer derart eigenwilligen Persönlichkeit nicht niedrig ist.

Es ist schade oder vielleicht auch ein Glück, dass wir zu Lebzeiten den Inhalt eventueller Nachrufe nicht kennen können. Ich bin sicher, dass Erich auch in Kenntnis dieser nachgerufenen Worte seiner Frau Catherine alles ganz genauso gemacht hätte. Neben aller Exzentrik als Sperrmüllsammler, Erfinder und Fließbanddichter war er immer lieb, versöhnlich und charismatisch. Darüber, dass ich ihn genauso erlebt habe, wie Catherine ihn nun beschreibt, bin ich sehr glücklich.

Das Buch ist die perfekte Lektüre bei gestressten Beziehungen. Meine Frau hat es sofort verschlungen, und es führte zu einer Diskussion über unsere Beziehung, die noch lange andauern wird.

GÜNTER ZINT

Catherine Fried: „Über kurz oder lang. Erinnerungen an Erich Fried“. Wagenbach, Berlin 2008, 139 Seiten, 15,90 Euro