Obama und US-Mythen: Der schwarze Siedler

Wer kann den US-Frontier-Mythos besser erzählen: Obama oder McCain? Viel spricht dafür, dass es der "unamerikanischere" der beiden Kandidaten ist, der die Wahlen gewinnen dürfte.

Wilderness-Erfahrung dank Finanzkrise: Barack Obama. Bild: ap

Was hat Barack Obama nicht alles getan, um als US-Amerikaner alter Schule wahrgenommen zu werden. Als Bürger, der die ganze Geschichte und das ganze Volk im Blick hat, als Politiker ohne Spezialinteressen. Er hat die Gründerväter zitiert, wo er konnte, er kennt die Verfassung wie kein zweiter. Seit Ronald Reagan gab es keinen Kandidaten, der so darauf bedacht war, alle US-Amerikaner anzusprechen. Obwohl Obama in den meisten Programmpunkten klassisch demokratisch denkt, ist sein Bestseller "The Audacity of Hope" ein einziger Versuch, sich vom Ruch des elitären Linken zu befreien.

Reagans Rhetorik dient Obama ausdrücklich als Referenz, so er die Sehnsucht der US-Bürger nach Ordnung ("longing for order") wieder mit dem Glauben und der Tat jedes Einzelnen verbinden will. Welche Rolle dabei Obamas christlicher Glaube spielt, übersah man in Europa oft, weil die Extremismusdebatte um seinen Priester Jeremiah Wright davon abgelenkt hatte. Obama reagierte mit der legendären Race-Rede. Seine Verteidigung hielt er im Constitution Center in Philadelphia - "Constitution" für Verfassung. Und seine ersten Worte zitierten den Anfang der Unabhängigkeitserklärung: "We the people, in order to form a more perfect union …"

Doch lange Zeit haben Obamas US-Amerikanismen wenig daran geändert, dass alle Anfeindungen auf das vermeintlich Fremde in ihm zielten. Das reicht von der vulgären Angst, er sei ein Araber, Terrorist oder beides, über nur leicht subtilere Abwehrformen wie die offensive Nennung des Mittelnamens Hussein bis zum gänzlich gängigen Hinweis auf Obamas nicht widerlegbare Intelligenz.

Wie sehr der Begriff der Intelligenz vom Begriff des Unamerikanischen kontaminiert ist, zeigt die Nachkriegsgeschichte mehrfach. Die Kommunistenjagd, die man mit dem Hitzkopf Joe McCarthy verbindet, aber keinesfalls nur von ihm ausging, schoss viele Intellektuelle ab, nicht zuletzt aus der als jüdisch begriffenen Unterhaltungsindustrie Kaliforniens und New Yorks. Und im Katastrophenfilm fallen die Außerirdischen stets durch übermenschliche Intelligenz auf. In Tim Burtons "Mars Attacks", einer Antwort auf "Independence Day", werden die so bösen wie schlauen Marsianer mit einem einfachen Western-Jodel vertrieben. Es ist eine Musik, welche die Zeit der Siedler aufnimmt. Die Zeit der Frontier, der elastischen Siedlungsgrenze, an der sich die USA immer wieder neu erfand. Bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts, als John F. Kennedy die Verlängerung der Frontier ins Weltall für politische Zwecke popularisierte: "Space is the New Frontier."

Die Frontier ist das Bild der identitätsbildenden Begegnung mit dem Unstrukturierten. An der Grenze zum Chaos, "out there". Dort geschieht die Verwandlung vom Unamerikanischen ins US-Amerikanische. Es ist eine Metamorphose, die einer der einflussreichsten Geschichtstexte in den religiösen Begriff der Wiedergeburt fasst. "Rebirth", so steht es 1893 in "The Significance of The Frontier in American History" von Frederick Jackson Turner. Als der Historiker seinen Aufsatz präsentierte, galt das Land seit drei Jahren offiziell als erschlossen. Spätestens dann setzte die Mythologisierung ein. Wie Turner die Verwandlung an der Frontier genau und doch äußerst national-religiös beschreibt, erhellt erstaunlicherweise auch den aktuellen Wahlkampf.

Schon Turner spricht von der "perennial rebirth", der fortwährenden Verwandlung also. Und die beginnt mit einem zivilisatorischen Rückschritt. Der europäisch gekleidete Siedler streift sein Gewand ab und regrediert erst einmal auf das Niveau der Wildnis. Erst so kann er sich mit ihr auseinandersetzen. Und erst aus diesem Kampf geht der Siedler als US-Amerikaner hervor: "The frontier is the line of most rapid and effective Americanization." Hätte Obama diesen Text im Kopf gehabt, wäre er im Sommer nicht nach Berlin für den Beifall der europäischen Massen gefahren. Seine Umfragewerte zu Hause sanken sofort.

Die entfesselte Finanzkrise, das Chaos und sein Abgrund ermöglichen Barack Obama nun vielleicht jene metaphorische Frontier-Erfahrung, die ihm bislang gefehlt hat. Der Finanzkapitalismus, das ist die Wilderness, von der der Historiker Turner sprach. Sie gilt es zu zähmen. Nicht dass Obama dafür eine Waffe hätte. Aber er hat die Möglichkeit der Konfrontation, die man ihm zusehends auch zutraut. John McCains Frontier war seine hinlänglich ausgeschlachtete Kriegsgefangenschaft. Dass jemand, der in Alaska Lachse fischt und Karibus tötet, McCains Ticket vervollständigt, geht in diesem Bild leider vollends auf.

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