Jazzkolumne: Das Trauma von New Orleans

Auch im Jazz ist die amerikanische Wahl das beherrschende Thema: Eine Nachlese zum Enjoy-Jazz-Festival im Rhein-Neckar-Dreieck.

Christian Scott will mit seiner Musik nicht in den Mainstream eingeordnet werden. Bild: ap

In sich gekehrt sitzt Matthew Shipp da. Meditiert, fragmentiert, zerstört, rekonstruiert. Seine seltenen Solo-Konzerte, wie das am Freitagabend beim Enjoy-Jazz-Festival in der Alten Feuerwache in Mannheim, zählen zu den Juwelen der aktuellen afroamerikanischen Improvisationsmusik.

Doch auch wenn er sich als Jazzpianist mit bestimmten ästhetischen Erwartungen und Aufgaben konfrontiert sieht, bezeichnet Matthew Shipp das Wirkungspotenzial der Künstler heute als begrenzt. Selbst wenn Instrumentalmusik heute einen rebellischen Code behaupten sollte, werde sie vom Establishment vereinnahmt, sagt Shipp: "Ich habe das Gefühl, dass die Macht die Musik nicht mehr zu fürchten braucht, und die Informationsflut hat die Leute verwirrt. Der Künstler kann schreien, doch die Leute hören ihn nicht."

Der Pianist Shipp wohnt noch an der teuer gewordenen Lower East Side Manhattans, zusammen mit dem Bassisten William Parker gehört er dort zu den Organisatoren des jährlich stattfindenden Vision Festivals. Viele seiner Musikerkollegen sind mittlerweile ins preiswertere Brooklyn umgezogen. "Die Energie der Künstler geht heute für das schlichte Überleben drauf", berichtet Shipp. Das sei vor zehn Jahren noch anders gewesen, doch heute sind fast alle betroffen. "Seit die Mittelschicht in den USA nicht mehr erkennbar ist, gibt es nur noch oben und unten. Als Künstler kann man sich groß fühlen, doch die gesellschaftlichen Verhältnisse sind nicht so. In der Jazz-Hierarchie ist es genauso: Oben sieht man Herbie Hancock und Keith Jarrett, unten sammelt sich der große Rest. Es braucht viel Disziplin, um diesem Druck standzuhalten."

Auch der 25-jährige Trompeter Christian Scott spielte ein Konzert bei Enjoy Jazz, diesem großen städteübergreifenden Festival von Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Seine CD "Anthem", die er 2007 mit seiner jungen Band in New York aufgenommen hat, ist New Orleans und den Veränderungen, die seine Heimatstadt nach der teilweisen Zerstörung durch "Katrina" vor drei Jahren durchgemacht hat, gewidmet. Titel wie "Litany Against Fear", "Antediluvian Adaptian" (Vor der großen Flut) und "The Uprising" sprechen eine klare Sprache, die Musik auf der CD pendelte noch sehr ruhig zwischen Tradiertem und einem zarten Hauch Unberechenbarkeit, offenbar produziert, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen.

Auf der Bühne jedoch klingt Scotts aktuelle Band eher nach radikalem Aufbruch denn nach kalkuliertem Mainstream. Nach seinem Konzert, bei dem auch der gefeierte Pianist Vijay Iyer einstieg, um der Herbie-Hancock-Komposition "The Eye of the Hurricane" ein neues Argument beizusteuern, äußert sich Scott zu seinen jüngsten Erfahrungen. Er fühle sich missverstanden, wenn von ihm der zornige junge Schwarze erwartet wird. Er möchte, dass seine Haltung als ernstgemeinter Widerspruch wahrgenommen wird und seine Musik eine entsprechende Durchdringung und Tiefe erreicht.

Für Scott spiegeln sich im Schicksal von New Orleans die großen Konflikte der Welt. Er begreife sich trotz der deutlichen Ausrichtung seiner CD nicht als politischer Musiker. Die Regierung jedoch, die New Orleans tagelang im Stich ließ, möchte er auf der Anklagebank sehen - wegen Mordes. Das sei auch die Stimmung, die er spüre, wenn er heute durch New Orleans geht.

Der Afroamerikaner Scott spricht von einem musikalischen Konzept, das die Gefühle der Musiker nicht von den Inhalten trennt: "Meine Band reißt sich nicht darum, die technisch anspruchsvollste Musik aufzuführen, wenn sie nicht attraktiv klingt. Mein zentraler Kritikpunkt am klassischen Trompetenunterricht ist die Haltung, dass die Musik vor allem schwer zu spielen sein muss, am besten immer schneller und noch höher. Doch das berührt mich nicht. Ich liebe Haydns Musik und möchte wissen, wen er damit in seiner Zeit glücklich gemacht hat."

Wenn Scott und seine Band von der Situation in New Orleans, vom Irakkrieg und anderen gesellschaftlichen Missständen aufgebracht seien, würden sie keine Partymusik spielen. Es gehe ihm um Ehrlichkeit, sich selbst und dem Zuhörer gegenüber. Andererseits gebe er auch keine dogmatischen Vorgaben, wie sich tief empfundener Protest und Unmut musikalisch anhören sollte. Wie alle anderen Musiker, die er kennt, hofft auch Scott auf Obama. Auf der Bühne sagt er auch, dass er sich wünschen würde, dass die US-Amerikaner sich nach den Inhalten für einen Kandidaten entscheiden würden und nicht nach der Hautfarbe.

Dem schließt sich auch Vijay Iyer an, New Yorker Pianist indisch-amerikanischer Herkunft. Er hofft, dass die Wahlen am 4. November zeigen werden, dass die Rassisten in den USA nur eine Minderheit sind.

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