Buy, when there’s blood on the streets

„Let’s make Money“ von Erwin Wagenhofer ist die Dokumentation zur aktuellen Lage

Manchmal kommt ein Film genau zur rechten Zeit. Erwin Wagenhofer hat mehrere Jahre an dieser Dokumentation gedreht, und auch der Kinostart wurde schon vor Monaten vom Verleih festgelegt. Aber noch Anfang September wäre „Let’s make Money“ nur eine weitere gut gemachte Mahnung vor den drohenden Konsequenzen der Globalisierung gewesen, für die sich vielleicht ein paar politisch denkende Kinogänger interessiert hätten. Doch jetzt ist genau das eingetreten, wovor im Film gewarnt wird, und plötzlich sieht man ihn auch mit ganz anderen Augen. Wenn da der Investor Dr. Mark Mobius auf der Fahrt in seinem Firmenwagen durch Singapur darüber doziert, wie er Kapital aus reichen Länder in die “Emerging Markets“ (ein Euphemismus für die einstigen “Entwicklungsländer“) pumpt, um dann die Profite fast ausschließlich selber einzukassieren, dann wüsste man schon gerne, ob er in diesen Wochen wohl selber nach seinem eigenen Merksatz „Buy, when there’s blood on the street, even when it’s your own blood“ handelt.

Wagenhofer stellt einige besonders absurde und für die betroffenen Staaten katastrophale Auswüchse des Neoliberalismus vor. So etwa den monokulturellen Anbau von Baumwolle in Burkina Faso, den die Weltbank dem Staat aufgezwungen hat und der zu einer extremen Verarmung der Gesellschaft sowie einer Vernichtung der Ackerflächen geführt hat. Die Konsequenzen werden theoretisch von einem einheimischen Agronomen erklärt, aber viel eindrücklicher sind die Bilder von einer sogenannten „Kieselfrau“, die in einem Steinbruch den Boden fegen und Kieselsteine aufsammeln muss, weil das der einzige Weg ist, ein paar Cent für das Essen zu verdienen. Wagenhofer montiert oft zu extremen Kontrasten. So schneidet er etwa direkt von den unterernährten afrikanischen Baumwollbäuerinnen zum Ressortleiter der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung, Gerhard Schwarz, der in einem luxuriösen Hotel über dem Genfer See zu erklären versucht, warum der Neoliberalismus die Staatsgrenzen für Kapital, Güter und Firmen so durchlässig wie möglich machte, für Menschen aber nicht. Das sei wie bei einem Tennisclub, da müsse man ja auch vorher einen Betrag für die Aufnahme zahlen. Hierbei schockiert die Wahl des Beispiels mehr als die eigentliche Aussage.

Wagenhofer arbeitet ohne Kommentar im Off und muss deshalb zwangsläufig viele Experten auffahren, die die extrem komplexen Zusammenhänge analysieren. Das sind in den 110 Minuten sicherlich einige sprechende Köpfe zu viel, und der Immobilienboom in Spanien, wo die gesamte Küste mit Tausenden von Hotels und Luxuswohnungen vollgebaut wird, in denen nie jemand wohnen wird, ist so kompliziert zu erklären, dass Wagenhofer dazu einige Fakten auf Texttafeln liefern musste. Aber da dies ja offensichtlich ein Film ist, bei dem der Inhalt wichtiger als die Ästhetik ist, verzeiht man ihm diesen Stilbruch gerne. Angenehm ist sein nüchterner Grundton, der die verheerende Diagnose viel eindrucksvoller vermittelt, als andere Politdokumentationen der letzten Zeit, die im Stil von Michael Moore polemisieren. Hier spricht dagegen John Perkins ganz ruhig darüber, dass er als so genannter Wirtschaftskiller Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika korrumpierte, und dass nach ihm die Schakale kamen. Der so freundlich darüber plaudernde Herr ist viel eindrucksvoller als die Montage von Nachrichtenbildern aus den genannten Krisenherden, die ein Dokumentarfilmer hier eingesetzt hätte, der seinem eigenen Material nicht vertraut. WILFRIED HIPPEN