Ursula Rucker über Barack Obama: "Hört mal, ich habe eine weiße Oma"

Ursula Rucker, die Musikerin aus Philadelphia, ist genauso weiß oder schwarz wie der Präsidentschaftsanwärter Barack Obama. Ist der deswegen am Dienstag ihr Kandidat?

"Es ist nicht so, dass ich Obama nicht leiden kann, aber zuallererst finde ich es schockierend, wie viele für ihn abgestimmt haben, weil er schwarz ist." Bild: screenshot: youtube

Die Dichterin und Sängerin Ursula Rucker lebt in Philadelphia, USA. Die vierfache Mutter absolvierte ein Journalistikstudium und arbeitete als Musikerin mit The Roots und 4 Hero. Sie veröffentlichte drei Alben auf dem US-amerikanischen Label K7. Sie sieht sich in der Tradition des Black Arts Movement, deren Vertreterin Sonia Sanchez ihre Mentorin war. Prägend war für Ursula Rucker die Brutalität, mit der die Polizei Philadelphias gegen die radikalökologische afroamerikanische Move-Kommune vorging, ebenso die Justizposse um die Verurteilung des Black-Panther-Aktivisten Mumia Abu-Jamal zum Tode.

taz: Was ich bemerkenswert finde ist, dass du als eine der ganz wenigen gegenwärtigen Künstler eine spezifisch afroamerikanische Tradition des verantwortlichen Sprechens für die Black Community fortführst. Diese Wurzeln entstanden im Zusammenhang mit Bewegungen die heute nicht mehr existieren.

Ursula Rucker: Ich bin einen weiten Weg von der Protest Music her gekommen. Protest Music war für einige Zeit so was wie ein Markenzeichen in den USA, aber das ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Teenager wissen heute nicht, was damit gemeint ist. Natürlich erschließt sich aus der reinen Bezeichnung ein Sinn. Aber Jugendliche wissen heute meist nichts von der Geschichte, von Namen wie Joni Mitchel oder Bob Marley, auch wenn sie deren T-Shirts tragen.

In der Auseinandersetzung zwischen Obama und Hillary Clinton: Hatte man dich als afroamerikanische Künstlerin versucht, bei den Vorwahlen für die eine oder andere Seite zu gewinnen?

Bei den Vorwahlen in Philadelphia, bin ich dreimal gefragt worden auf Fundraising-Veranstaltungen für Barack Obama aufzutreten. Aber, warum zum Teufel sollte ich Obama helfen, Geld für seine Kampagne aufzutreiben? Ich kriege regelmäßig Herzrasen, wenn ich Post von meiner Bank bekomme, und er kriegt Millionen US-Dollars für seine Kampagne von den Konzernen. Warum soll ich ihm dabei helfen? Es ist nicht so, dass ich Obama nicht leiden kann, aber zuallererst finde ich es schockierend, wie viele für ihn abgestimmt haben, weil er schwarz ist, oder wie viele für Hillary, weil sie eine Frau ist. Es ist unglaublich lächerlich, zu glauben, die Hautfarbe oder das Geschlecht befähige jemanden, dieses Land zu führen.

Geht es bei Politik nicht immer auch um Symbole? Und die spielen in diesem Fall doch die entscheidende Rolle?

Die Entwicklungen gehen rückwärts in den Communities. Ich habe Freunde, die glaube schon lange nicht mehr an so etwas wie die Black Community.

Das ist für uns in Europa so ein Paradox. Aber eigentlich ist jemand wie Obama oder du gleichermaßen schwarz wie weiß, oder?

Na ja, es geht darum, was du siehst, wenn du in den Spiegel guckst, und was andere sehen, wenn sie dich ansehen, und wo du dich verortet fühlst. Meine Mutter ist italoamerikanisch, mein Vater ist ein Schwarzer aus dem Süden. Ich weiß, wer ich bin, und bin stolz darauf. Aber wenn ich mich frage, wo ich hingehöre, dann doch eindeutig zur Black Community. Meine Mutter fühlt sich dadurch auch nicht angegriffen, weil sie weiß, dass ich da gebraucht werde. Würde ich mich in einem italienischen Umfeld umsehen, würde ich mich fragen, was ich da soll. Ich wäre da sowieso nicht wirklich akzeptiert. Wenn ich sage, ich bin italienischer Abstammung, kriege ich zu hören: Was, wirklich?

Also hätte es doch einen starken symbolischen Wert einen "schwarzen" Präsident zu haben?

Es wird sowieso nicht passieren.

Und wenn doch?

Ich hätte Angst. Ich glaube Barack Obama muss um sein Leben fürchten, wenn er Präsident wird.

Wirst du ihn wählen?

Er ist das kleinere Übel. Das ist normalerweise das Kriterium, wie ich meine Entscheidung treffe. Frauen und Schwarze haben in den USA hart für ihr Recht zu wählen gekämpft. Ich kann meine Stimme nicht wegschmeißen. Mir bedeutet dieses Recht eine Menge.

Obama als Präsident: Das wäre eine große Siegesfeier und würde vielleicht sogar ein paar Rassisten beeindrucken?

Das glaube ich kaum. Ich bin eine Pessimistin. Redet miteinander, toleriert euch - das klingt nach Hippie-Talk. Da wäre erst noch viel Basisarbeit zu leisten. Es beginnt nicht mit einem schwarzen Mann als US-Präsidenten. Es ist nicht so, dass sich plötzlich alle in diesem rassistischen Land sagen: Ich habe mich verändert, ich bin erleuchtet. Ich gehe jetzt runter und baue das brennende Holzkreuz auf dem Gelände meines schwarzen Nachbarn wieder ab. Das wird nicht passieren. Wenn ich in Downtown Philadelphia einkaufen gehe, in einem Laden, wo normalerweise keine Schwarzen sind, was meinst du, wie ich und meine Kinder beobachtet werden? Niemand wird das ändern. Genauso wenig, dass diese Typen in meiner Nachbarschaft rumhängen und ihr Gift verkaufen. Ich weiß nicht wie, aber die Lösung dafür musst du selbst herausfinden.

Bei seinem Background ist Obama doch zumindest in den sozialen Fragen glaubwürdig?

Was ist mit all dem Geld von den Konzernen, der Rüstungsindustrie, dass sie ihm im Wahlkampf gaben? Was kannst du machen, wenn du erst mal am Haken hängst? Aber was wirklich irritiert: Er wäre ein Präsident mit einem afrikanischen Namen, nicht einfach nur ein Black American, er ist Halbafrikaner.

Und dann ist da noch die islamische Assoziation.

Ich liebe das. Es gibt einen Spot von ihm, wo er herausstellt, wie wichtig seine weiße Großmutter für seine Erziehung war, was ein ganz offensichtlicher Schritt ist, um weiße Wählerstimmen zu bekommen. Hört mal, ich habe eine weiße Oma, hey!

Interessanterweise schlachtet er die Tatsache einen asiatischen Stiefvater gehabt zu haben überhaupt nicht aus. Das wäre doch auch eine relevante Wählergruppe.

Ich habe davon überhaupt noch nichts gehört. Dabei würde dies doch das Bild abrunden. Er könnte klarmachen: Seht her, ich vereine die gesamten USA!

Wie war denn deine Reaktion, als diese Ausschnitte der Reden von Obamas Pastor Jeremiah Wright lanciert wurden, um Obama als Freund eines Fanatikers zu diffamieren?

Ehrlich gesagt, wenn man sich die Reden von Pastor Wright auf YouTube im Zusammenhang ansieht, ist das Gesagte nicht radikaler als manche Rede von Martin Luther King. Er hat nur das gesagt, was ich auch sage. Ich war ziemlich wütend, weil ich fand, Obama hätte auf die Angriffe überhaupt nicht reagieren sollen. Ich war irritiert, weil er Dinge über die Black Community offen gelegt hat, die nicht in eine allgemeine Öffentlichkeit gehören. Es gibt bestimmte Sachen, die sollten wir unter uns ausmachen. Er hat einfach Dinge ausgeplaudert, um Wählerstimmen zu bekommen.

Nach meinem Eindruck gab es aber auch den Effekt, dass über manche Dinge zum ersten Mal seit Jahrzehnten überhaupt wieder geredet wurde in der US-Öffentlichkeit.

Und, was hat er Neues gesagt? Ich sage diesen Kram dauernd. Es beeindruckt mich nicht. Ich meine, okay, er hat gewählt gesprochen, sicher. Ich musste gar nicht erst das Video von Pastor Wright sehen. Ich sah ein paar Ausschnitte. Ich dachte mir: "Dieser Typ ist in deiner Kirche, zu der du jahrelang gegangen bist. Sie haben dich immer unterstützt." Er kann in seiner Kirche sagen, was immer er will, schwarze Priester sind bekannt für so was. Sie sagen manchmal Sachen, wo du dir denkst: Was, hat er das gerade wirklich gesagt? Ich war oft in der Kirche meines Vaters, und der Pfarrer sagte Sachen über Whities, und meine Mutter saß da in der Art: Hey, ich weiß ja nicht, ob ihr wisst, aber, äh, ich bin eine europäische US-Amerikanerin. Das passiert selbst in katholischen Kirchen, ich bin ja katholisch.

Du bist eine der wenigen schwarzen Künstlerinnen die Hiphop wegen seiner expliziten Lyrics kritisiert, verteidigst aber die Möglichkeit, dass im Raum der Kirche drastische Sachen gesagt werden, wie rassistische Äußerungen?

Ein Unterschied besteht darin, dass ein Pastor lediglich zu seiner Gemeinde spricht. Zu einer ausgewählten Gruppe von Leuten, die ihn seit Jahren kennen. Hiphop ist ein weltweites Phänomen. Hiphop hat sich verwandelt, es wurde zu Rap-Musik und ist in jeden Winkel der Erde vorgedrungen mit seinen zerstörerischen Texten, seinen Stereotypen, seinen falschen Informationen. In meiner Stadt, in der ich aufgewachsen bin, wo ich meine Kinder erziehe, gibt es sehr viel Gewalt, und ich weiß, das ist auch das indirekte Ergebnis von Rap-Musik. Die Rapper machen wirklich die Arbeit des Teufels. Ich weiß, das klingt dramatisch, und sie ruinieren sich auch selbst. Sie sagen, hey, so ist unsere Erfahrung, aber meistens stimmt nicht mal das. Wenn du diese sogenannten Ganstertypen ins Zentrum von Bagdad verfrachtest, sie würden sich in die Hose scheißen mit ihrem ganzen Geschwätz von Maschinengewehren, Bomben schmeißen und so weiter.

Du machst also einen Unterschied zwischen der Gefahr, die von Rap-Lyrics ausgeht mit seiner Glorifizierung von Gewalt und einer antiweißen Rethorik von Kirchenleuten.

Ja.

Du siehst in dem, was in Kirchen gesagt wird, also eher eine Art Folklore? Ich spreche jetzt nicht von Pastor Wright, sondern eher von dem, was du über deine Mutter gesagt hast, als sie sich angegriffen gefühlt hatte wegen der antiweißen Rhetorik.

Ich kann mich genauso angegriffen fühlen, wenn ich in einer katholischen Kirche sitze. Wenn sie dort über Abtreibung reden und gegen die Schwulenehe. Was erlauben die sich? Und ich sitze dann auch noch mit meinen Kindern dort.

Du bringst deine Kinder in eine katholische Kirche, bist du verrückt? Sind das nicht gefährlichere Texte als bei Rap-Musik?

Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.

INTERVIEW: TED GAIER

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