Der letzte Aufrechte

Das Kino Arsenal hat sich einen Relaunch gegönnt und nennt sich jetzt „Institut für Film- und Videokunst“. Zum Auftakt gibt es eine ganz und gar programmatisch gesetzte Retrospektive, mit den Filmen des großen Kinoverächters Guy Debord

VON EKKEHARD KNÖRER

Guy Debord im Kino: ein Widerspruch in sich. Das seit ein paar Tagen umbenannte „Arsenal. Institut für Film und Videokunst“ sucht diesen Widerspruch mit Fleiß. Diese Retrospektive, mit der das Film-Institut sich einen der schärfsten Kritiker des Kinos ins Haus holt, ist sehr programmatisch gemeint. Das Kino soll sich den Gebildeten unter seinen Verächtern stellen. Debord, die bedeutendste und umstrittenste Figur jener Bewegung, die den Namen Situationismus bekam, wollte das Kino mit den Mitteln des Kinos zerschlagen. Nichts ließ er gelten als die eigenen Filme – ausdrücklich verachtete er etwa das Werk von Jean-Luc Godard, des Regisseurs, der ihm ästhetisch am nächsten stand. Nicht zu Unrecht kritisierte Debord, der die real existierenden Sozialismen als Marxist von Herzen verfluchte, dabei Godards Glauben an Mao.

Am Beginn von Debords Arbeit als Filmemacher steht – beinahe konsequent – die Verweigerung des Bilds. „Hurlements en faveur de Sade“ (dt. ungefähr „Geheul für de Sade“), 1952 entstanden, zeigt eine Stunde lang abwechselnd Weiß und Schwarz auf der Leinwand, nichts sonst. Auf der Tonspur fällt gleich zu Beginn der Satz „Man kann keine Filme mehr machen. Das Kino ist tot.“ Aber natürlich kannte Debord das Kino, inwendig, auswendig, ganz wie Rousseau das Theater, das er verbieten wollte, kannte und liebte und hasste. In der Theorie, die Debord mit seinem Hauptwerk „Die Gesellschaft des Spektakels“ 1967 in 221 Thesen entwarf, war die Sache sehr klar. „Alles, was einst unmittelbar gelebt wurde, ist in eine Repräsentation entwichen“, heißt es da. Das Leben im Kapitalismus, so Debord sehr kurz gefasst, ist total entfremdetes Leben.

Der Name für die Entfremdung als Verwechslung der Darstellung mit dem Leben, als Produktion von Bild und Kopie anstelle originären Lebens lautet „Spektakel“. Dagegen stellt Debord die Situation, die Aktion, den Eingriff in die Situation. Einen Eingriff, der sich selbst nicht verfestigt, der nur bleibt als die Spur dieses Eingriffs, als die Veränderung, zu der er geführt haben wird. Das Kino, als Kunst, von der der Film als Werk bleibt, taugt also im Grunde für den situationistischen Eingriff nicht. Dennoch gibt Debord das Kino nicht auf. Er verfilmt vielmehr sein eigenes Buch. Er sucht nach einem Umgang mit dem Bild, der dem Bild nicht verfällt.

Die Strategie, die er findet, nennt er „détournement“ – Umleitung, Entführung. Er nimmt Bilder, die es schon gibt, und er entführt sie aus ihren Kontexten. Hinein in seinen eigenen Film, „Die Gesellschaft des Spektakels“, in dem er sie gegeneinander montiert und mit Originaltexten aus dem Buch unterlegt, die er, Guy Debord, selber spricht. Das funktioniert aber nicht wirklich. Die enge Bindung der Bilder an den Text und die Stimme des Autors hat eine geradezu diktatorische Wirkung. Man sieht viel Werbung und exemplarische Ausschnitte aus der Welt des Konsums – apodiktisch verkündet Debord dazu, was man als Betrachter zu diesen Anblicken zu denken hat. In dieser Kombination werden die Bilder entwertet zu Illustrationen, die Energie der Entführung und Remontage verpufft.

Sehr viel interessanter hebt Debords letzter Langfilm „In girum imus nocte et consumimur igni“ (1978) alle Widersprüche von Theorie und Methode in sich auf. Der lateinische Titel (übersetzt: „Wir gehen in den Kreis bei Nacht und werden vom Feuer verzehrt“) ist ein Palindrom, er ergibt von vorne und hinten gelesen denselben, sehr unklaren Sinn. Wieder spricht hier auf der Tonspur Debord. Er wird sehr autobiografisch, er historisiert sich selbst und er klingt stellenweise wie der dem Größenwahn verfallene späte Nietzsche. Guy Debord zeichnet – vielleicht, so ist zu befürchten, ganz im Ernst – ein Selbstporträt Guy Debords als letztem Aufrechten, der dem Untergang der Welt in Konsum und Spektakel sich noch entgegenstellt.

Auch die Bilder und ihre Montage werden darüber verrückt. Endlos reiten in Hollywood-Western Soldaten in Schlachten. Debord zitiert dazu den Kriegstheoretiker Clausewitz, den er verehrt. Clausewitz’ Kriegstheorie setzt nämlich nicht auf genaue Planung. Die werfen Kampf und Getümmel ohnehin über den Haufen. Worum es geht, so Debord mit – ausgerechnet, muss man wohl sagen – Clausewitz, ist etwas wie Situationsmächtigkeit. Es geht um Geistesgegenwart auch und gerade in Lagen, die ausweglos scheinen. Um Energie, die man aus dem Moment, aus der Überraschung gewinnt. Es gibt Momente, in denen die verrückte Text-Bild-Montage „In girum imus nocte et consumimur igni“ in genau dieser Art funktioniert. In diesen Momenten, und nur in ihnen, ist der Filmemacher Guy Debord dann ganz bei sich.

„Mit dem Kino gegen das Kino – Filme von Guy Debord“, ab 6. 11., Programm unter www.arsenal-berlin.de/de/arsenal/kalender.html