Im Schilfverhau

Wirb oder stirb: Albert Oehlen, der Meister des Tafelbilds, zeigt neue Arbeiten bei Max Hetzler und kontrastiert sie mit seinen Gemälden aus dem Jahr 1991. Sie verführen dazu, das Überkomplexe, das irritiert, dann doch zu akzeptieren

In gewisser Weise gibt Albert Oehlen in seinen neuen Bildern mehr über die Ästhetik anderer preis als über seine eigene. Scheint mir jedenfalls. Durch seine Übermalung der spanischen Werbeplakate, die er nun als das Ausgangsmaterial seiner Collagen gewählt hat, erkennt man erst richtig, wie scheußlich sie aussehen, obwohl sie in diesem Prozess ihren opaken Oberflächenglanz keineswegs verlieren. Nein, Albert Oehlen tut im Gegenteil einiges dafür, ihren Werbeglamour nicht allzu sehr zu beschädigen. Anders als gewohnt setzt er die Farbe äußerst sparsam ein. Es bleibt viel Weiß auf Leinwand stehen, viel luftig eleganter Freiraum. Und doch zeigen seine wenigen schnellen Farbspuren und die kleinen Milchseen, die er hier und da zartrosa aufschimmern lässt, wie primitiv und einfallslos die Farbwelt der Werbung ist. Das wusste ich so noch nicht.

Seinen eigentlichen Angriff aber setzt Oehlen an der Front an, an der die Werbung ihre Bataillone gut aufgestellt hat, der Form. Natürlich sind gerade die Plakate ein Produkt von Occam’s Razor, also einer gewaltigen Reduktion von Komplexität. Anders als bei den Farben zeigen aber die Typografie und die Motive dennoch Raffinesse. Nun ja, vielleicht liegt es auch an den schönen Körpern der schönen Mädchen, mit denen die Werbung gerne argumentiert. Netterweise zerstückelt Oehlen sie nicht so wie den Rest. Dabei montiert er kleine Scherze wie eine Hur€ oder er flucht dem Englischsprachkurs des British Council ein französisches Merde entgegen. Aber das nur am Rande. Ansonsten formatiert er die Reklamebotschaften im Tafelbilder zu reiner, inhaltsloser Form um, ersichtlichen Albert Oehlens.

Trotzdem sind sie nicht ohne weiteres mit den Bildern des wundersamen Panoramas in Einklang zu bringen, das sich auftut, wenn man sich umdreht, sobald man am Ende der riesigen Halle angelangt ist. Denn in einem harten Schnitt steht man plötzlich Gemälden aus dem Jahr 1991 gegenüber, die auf der Rückseite der tiefgestaffelten Stellwände hängen. Ein fantastischer Moment, in dem man ein bisschen den Boden unter den Füßen verliert. Mir kam es jedenfalls so vor, als versänke ich in einem dichten, herbstlich gefärbten Schilfverhau.

Alles, was man wahrnimmt, ist dichte Farbe, ist dichte Struktur, mit einem starken vertikalen Akzent, selbst dort, wo es sich nicht um Hochformate, sondern um quadratische Leinwände handelt. Verifizieren lässt sich dieser Eindruck bei genauerem Hinsehen sowieso nicht. Die Bilder ohne Titel sind zu komplex: in ihren chaotischen, unübersichtlichen Farb- und Formschichten, den vielfachen Übermalungen, den Kurven, Schlieren und Schlingen, den Haken und überhaupt der ganzen (Bewegungs-)Freiheit, die sich Oehlen beim Malen herausnimmt.

Ich kann nicht behaupten, mich spräche das im Einzelfall immer an. Der Einzelfall ist oft genug der Stachel im Fleisch der eigenen ästhetischen Wunschökonomie. Schließlich will man ja doch den Überblick behalten. Allerdings, diese geballte Ladung malerischer Abstraktion, wie sie Hetzler jetzt von Oehlen in den Osram-Höfen zeigt, entwaffnet einen. Es ist ein Genuss, hier den Überblick zu verlieren. BRIGITTE WERNEBURG

Bis 20. Dezember, Galerie Max Hetzler Temporary, Osram-Höfe, Oudenarder Straße 16–20, Di–Sa 11–18 Uhr