Was bleibt, sind die Bilder

Wertmüller, Brötzmann und Haino spielten im Quasimodo ihre Mitmusiker an die Wand

Die Straßen glänzen in der schwarzen Novembernässe. Noch im Festspielhaus hatte man sich unter dem Bühnen-Slogan „Jazz We Can“ zu kindlicher Obama-Freude hinreißen lassen. Doch jetzt wird es ernst. Lange Schlangen haben sich bis nach draußen zur Straße gebildet, wegen Überfüllung ist der Einlass gestoppt. Auf der Bühne verschlingt sich Peter Brötzmann mit seinem Altsaxofon und seiner Klarinette. Mit geschlossenen Augen bläst er mit ungeheurer, pulsierender Kraft und dabei trotzdem balladenhaft lyrisch.

Es ist ein sehr emotionaler Moment: Sein persönliches und inmitten der ungeheuren Lautstärke ganz stilles Jubiläum an diesem Abend. Genau vor vierzig Jahren fand auf dieser Bühne, die damals noch „Quartier von Quasimodo“ hieß, das erste, von ihm gemeinsam mit Peter Kowald und Jost Gebers gegründete Total Music Meeting statt.

Doch es gibt keine Feier. Nachdem Gebers vor neun Jahren das Festival für beendet erklärte, protestierte seine damalige Assistentin, die Frankfurter Adorno-Schülerin Helma Schleif. Sie kaufte ihm die Nutzungsrechte für den Namen ab und führt das Festival seitdem unermüdlich weiter, obwohl sie sich jedes Jahr wieder eine wenigstens notdürftige Finanzierung von 22.500 Euro erkämpfen muss.

Gebers und Brötzmann haben sich von ihrem einstigen Festival distanziert. Und so spielte an diesem Abend parallel zu Brötzmann beim diesjährigen Total Music Meeting der englische Free-Jazz-Saxofonist Evan Parker in der Berlinischen Galerie. Parker war mit Brötzmann beim Gründungsfestival vor vierzig Jahren aufgetreten.

So umgab sich Brötzmann mit trotziger Einsamkeit. Hinter ihm hämmerte Michael Wertmüller seine berühmten, unglaublich schnellen siebenbalkigen 256stel und 512tel in die Becken. Während Wertmüller so seine trancehaft-brachiale und extrem komplexe Klang-Architektur konstruierte, arbeitete sich der japanische Noise-Gitarrist Keiji Haino an deren gleichzeitiger Dekonstruktion ab. Haino, der sich auf Xenakis, Noh und Albert Ayler bezieht, zertrümmerte mit Hilfe mehrerer Verstärker die gerade errichteten Gebäude und schichtete Drone-Metal zu einem überdimensionalen Schrei.

Daneben wirkten die anderen Musiker fast unsichtbar. Bassist Marino Pliakas, der mit Brötzmann und Wertmüller seit vielen Jahren das Wertmüller-Projekt bildet, gab den Hintergrund für die Götterdämmerung, die vor ihm stattfand. Auch der Chicagoer Saxofonist Mars Williams, Schüler von Anthony Braxton und Mitglied in Brötzmanns Chicago Tentett, blieb farblos. Wie auch die mit Spannung erwartete Neuentdeckung der Improvisierten Musik: der Trompeter Peter Evans. Der 27-jährige New Yorker produziert auf seinen Trompeten, darunter eine winzige Pocket-Trumpet, ganz erstaunliche Töne, konnte sich jedoch gegen seine Mitmusiker kaum Raum erspielen. Trotzdem arbeitete er hochkonzentriert an zirkularen Über- und Einblasungen, Geräuschen und Tonfragmenten. Was bleibt, sind die Bilder. Die wilden Bewegungen Hainos, die konzentrierten Gesichter der Musiker, die geschlossenen Augen Brötzmanns.

MAXI SICKERT