Max-Frisch-Adpaption im Gorki-Theater: Mit Hut und Hüftspeck

Für den Spieltrieb bleibt nur eine Nylonstrumpfhose. Armin Petras inszeniert am Berliner Maxim Gorki Theater "Ödipus auf Cuba", eine freie Bühnenadaption von Max Frischs Roman "Homo Faber"

Nylonstrumpfhose trifft Hüftspeck im Gorki-Theater. Bild: dpa

Ja, das kennt man, diese unangenehme Enge in den Flugzeugsitzen. Walter und der Düsseldorfer neben ihm kriegen keine Ordnung in ihre Schultern und Ellbogen. Dann will der Düsseldorfer auch noch wissen, was Walter so macht. "Technische Hilfe für Entwicklungsländer", sagt der widerwillig und holt dann doch zu einem Vortrag aus über die alten Kulturtechniken der Wasservorratshaltung und die Dummheit der neuen Investitionen.

Aha, denkt man da womöglich im Zuschauerraum des Maxim Gorki Theaters in Berlin, Fortschrittskritik! Ist sie das Motiv, das Armin Petras, Regisseur und Intendant des Gorki-Theaters, dazu gebracht hat, "Homo Faber" von Max Frisch für die Bühne zu bearbeiten? Denn tatsächlich ist es erstaunlich, wie die Zeit den Zweifeln, die der Ingenieur Walter Faber gegenüber der Überheblichkeit der Technik äußert, zugearbeitet hat. Als Reisender im Auftrag der UNO war Faber in der deutschsprachigen Literatur 1957 eine der erste Figuren, die so von der Hybris des technisch Machbaren erzählten. Der Theatertext verlängert diese Erfahrungen um das Wissen unserer Gegenwart und lässt ganze Stellvertretergruppen des Verdrängten aufmarschieren.

Joachim, der Freund, den Walter Faber auf einer Plantage im Mexiko besuchen will, begegnet ihm als Gespenst, in einem mythischen Vogelfedergewand. Viel ist die Rede von neuen Flughäfen und den alten Landebahnen der Götter, von Weltraumflügen und der Umsiedlung der Indios. Aber ob in diesem geschichtspessimistischen Szenario der Grund für Joachims Selbstmord liegt, diese Frage klärt die in ihren Erzählfäden herumfuhrwerkende Inszenierung nicht.

Denn zunehmend verlegt sich ihr Fokus auf Walters Verliebtheit in eine junge Frau. Oh, du liebes bisschen, für nix als eine fette Midlifecrisis dieser ganz zivilisationskritische Klimbim! Ja, so scheint es dann über lange Strecken, in denen Faber mit seiner Sabeth hierhin und dorthin reist, ihr beim Tanzen zuschaut, zelten und schwimmen geht in der lustigsten Szene des Stücks. Und es macht die Sache nicht wirklich besser, dass in dieses alltägliche Drama eine Spur von großer Tragödie mit der Erkenntnis einzieht, dass die junge Frau Walters Tochter ist.

Armin Petras ist nicht der erste Regisseur, der mit den Geschlechterrollen von Max Frisch so seine liebe Not hat. Aber Stefan Pucher zum Beispiel, der den Roman vor drei Jahren dramatisierte, stellte sich offen die Frage, warum "Homo Faber" auf der Bühne stattfinden soll, und deshalb musste das Publikum sie sich nicht mehr stellen. Petras wird eine kritische Lektüre intendiert haben, allein die Konstellation, in die er sein Stück einbettet, bleibt bloßes Dekorum.

Denn "Ödipus auf Cuba" will gewissermaßen Theater im Theater sein. Eine kubanische Schauspieltruppe nimmt sich, Zigarre rauchend selbstverständlich, des Stoffs an und pinselt vor allem jene Szenen breit aus, die Walter Faber als Sextourist avant la lettre zeigen. Kolonialismus- und Sexismuskritik, noch so ein gut bespielbarer Diskursteppich. Aber die meiste Zeit hinweg vergisst man diese Klammer und sieht stattdessen die großartigen Schauspieler des Maxim-Gorki-Theaters in Rollen, die an andere ihrer Auftritte auf der gleichen Bühne erinnern. Peter Kurth, ein Walter Faber mit Fünfzigerjahre-Hütchen und gepflegtem Hüftspeck, hat einfach schon zu viele trauernde Ehefrauen, hysterische Kinder und junge Geliebte hier in den letzten Jahren aufgefangen. Cristin König, langgliedrig, ausgehungert, neurotisch, spielt auch nicht zum ersten Mal die von ihm Verlassene. Selbst Julischka Eichel, die in der letzten Spielzeit mit einer wunderbar gegenwärtigen Ophelia am Gorki-Theater begann, geht einem diesmal mit ausgestelltem Jungsein auf den Keks.

So gibt einem die erzählte Geschichte weniger zu denken als der außergewöhnliche Umgang mit einer Strumpfhose. Julischka Eichel zieht sie am Ende der Badeszene hoch bis zum Hals, sticht Löcher, zwei für die Arme, eins für den Bauchnabel hinein und steht dann im schärfsten Cocktaildress, den man sich denken kann, für die nächste Szene bereit. Bloß ein Detail, aber eins von der Sorte, die bei Petras oft wie ein Schwarm seine Stücke durchziehen und dem Spieltrieb einen eigenen Willen lassen. Der hat sich diesmal wohl am Rauch der Zigarren verschluckt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.