Blicke, die den Frieden stören

Nasrallah, Barbie und Jesus vertragen sich nicht: Der Libanon gilt als das liberalste arabische Land. Aber zu spielerisch darf man auch hier nicht mit interkulturellen Klischees umgehen. In Beirut sorgen derzeit Fotografien der Künstlerin Jocelyne Saab für Unmut. Woher kommt dieses Klima der Angst?

Die Kluft zwischen Sunniten, Schiiten und verschiedenen christlichen Gruppierungen ist offenbar tiefer denn je

VON MONA NAGGAR

Die kleinen Zettel mit den Titeln kleben noch, aber der Besucher bekommt nicht Fotografien zu sehen, sondern weiße Flächen. Die Verantwortlichen für die Galerie Planet Discovery in Beirut meinten neun Werke der Filmemacherin und Künstlerin Jocelyne Saab aus ihrer neueröffneten Ausstellung dem libanesischen Publikum nicht zumuten zu können.

Auf einem abgehängten Foto mit dem Titel „Arab Christ“ ist eine Mischung aus einem breit lächelndem Beduinen und Jesus zu sehen. Auf weiteren abgehängten Fotos sind vor allem kleine Puppen abgelichtet: die Jungfrau Maria als nackte Barbie mit grünen Haaren oder eingewickelt in irakische Geldscheine mit dem Konterfei von Saddam Hussein. „Israeli-American Playground“ zeigt zwei nackte Barbiepuppen inmitten einer Schar Bilder des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah und eines gekreuzigten Jesu.

Diese Fotografien sind Teil der Fotoserie „Orientalismus – Okzidentalismus“. Saab setzt sich darin spielerisch und humorvoll mit dem klischeebesetzten Blick auf den anderen auseinander und benutzt dazu Kitsch, den sie in Flohmärkten in Kairo und Beirut erstanden hat. Eine kleine Gipsfigur eines bärtigen Beduinen mit einem Falken auf der Schulter steht für den westlichen Blick auf den Orient. Barbies mit langen, blonden, braunen oder schwarzen Haaren, meistens nackt, symbolisieren den arabischen Blick auf den Westen.

Bei der Eröffnung der Ausstellung mit Vertretern des libanesischen Kulturministeriums deutete nichts auf den späteren Skandal hin. Einen Tag später ließ die Galerie die Bilder gegen den Willen der Künstlerin abhängen, ohne dass eine religiöse oder politische Gruppe Protest angemeldet hätte. Die Galerie gehört der Firma Solidere, einer vom früheren Ministerpräsidenten Hariri gegründeten Aktiengesellschaft, die am Wiederaufbau des vom Bürgerkrieg zerstörten Stadtzentrums arbeitet. Randa Armanazi von der Galerie nannte als Erklärung für den drastischen Schritt die „Empfindlichkeiten“, die zwischen den verschiedenen Gruppierungen im Libanon herrschen. Auf die Darstellung der Jungfrau Maria und Nasrallahs mit zwei nackten Puppen könnten einige wütend reagieren. Sie verwies auf den Karikaturenstreit als abschreckendes Beispiel. Armanazi warf Jocelyne Saab vor, ihnen nicht alle Werke vor der Ausstellungseröffnung gezeigt zu haben. Saab widersprach dieser Darstellung. Sie habe alle Bilder der Galerieleitung vorgelegt. Die 60-jährige Künstlerin antwortete mit einer Presserklärung, in der sie sich erschüttert über den Vorfall zeigt und „ein Klima der Angst“ für die Handlungsweise der Galerie verantwortlich macht. Es sei auch dieses Klima, das die Menschen dazu bringen würde, sich zu isolieren oder ins Exil zu gehen.

Der Libanon gilt zwar nach wie vor als das liberalste arabische Land. Aber auch dort kommt es immer wieder zu Verboten von Büchern, die die religiösen Gefühle einer der vielen Konfessionen verletzten könnten. Oder die Schere des Zensors macht sich an Filmen zu schaffen, die den „gesellschaftlichen Frieden“ gefährden könnten, wie es dann offiziell heißt. Nach den bewaffneten Zusammenstößen im vergangenen Mai, die das Land an den Rand eines Bürgerkrieges brachten, haben viele Menschen das Gefühl, dass die Kluft zwischen Sunniten, Schiiten und verschiedenen christlichen Gruppierungen tiefer denn je ist. Das erzeugt dieses „Klima der Angst“, von der Jocelyne Saab gesprochen hat und das die Galerie zur Selbstzensur greifen ließ.