Annual Photography Award 2008: Sieger-Ausstellung in Frankfurt

Post-sozialistischer Slapstick und sozial-dokumentarischer Anspruch: Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main präsentiert die Preisträger ihres jährlichen Fotografie-Preises.

Abgeordneter zwischen Bär und Wisent: Foto der Preisträgerin Lucia Nimková. Bild: european central bank

Die sozialdokumentarische Fotografie liebt exotische Sujets, doch Wytske van Keulen fand ihr Thema vor der Haustür in Amsterdam. Ihre Bilderfolge "Andzelika" fühlt sich in die Situation eines Mädchens ein, das zwischen seinem polnischen Zuhause bei den Großeltern und den Eltern hin- und herpendelt, die als Arbeitsmigranten in Holland wohnen. Wo will Andzelika zukünftig einmal leben? Der 1982 geborenen Fotografin gelang es offenkundig, das Vertrauen der Beteiligten zu gewinnen. Dadurch kann sie den inneren Konflikt des Teenagers in eine eigenständige Bildsprache übersetzen.

Die Arbeit erhielt den zweiten Preis des Annual Photography Award 2008 der Europäischen Zentralbank EZB. Für Banken ist es quasi obligatorisch, sich mit Sammlungen und Kultursponsering zu schmücken. Die EZB hat sich auf Fotografie kapriziert, und da sie 2008 ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, wurde der Award erstmals in allen 27 EU-Mitgliedsländern ausgeschrieben. Jeder nationale Kurator konnte drei Arbeiten einreichen, so dass die Jury am Ende vor der Aufgabe stand, über 70 Bewerbungen in eine künstlerische Hierarchie zu bringen. Die Shortlist der zehn "besten" wird nun in einem Katalog präsentiert und in Frankfurt ausgestellt.

Raphael Dallaporta nutzte das weitgefasste Wettbewerbsthema "Europe", um nach den durch die EU-Außengrenze verursachten Tragödien zu suchen. Für seine Arbeit "Domestic slavery" erhielt er den dritten Preis. Da sein Fund so unmenschlich ist, kommt seine Bilderserie ganz ohne Menschen aus. Sie zeigt nur die Fassaden der Häuser, hinter denen Einwandererinnen sans papiers als Haushaltshilfen ausgebeutet wurden. Das Einfamilienhaus mit der akkuraten Hecke, das feudale Pariser Stadthaus, Hochhäuser am Stadtrand, alle erscheinen sie gleich anonym. Dallaporta stößt mit diesem künstlerischen Konzept an Grenzen der fotografischen Möglichkeiten. Er ergänzt deshalb jedes Foto durch einen kurzen Bericht der zugehörigen Leidensgeschichte.

Um Überschreitung von Grenzen geht es auch in anderen Arbeiten. Die Fotografin Melanie Friend zeigt England als "Border Country". Auf ihren Fotos von englischen Abschiebeknästen fehlen ebenfalls die Menschen. Man sieht sterile Besuchsräume im Neonlicht, sogar Kirchen- und Moscheeräume und fröstelt, obwohl die Räume wahrscheinlich überheizt sind. Die Serie des polnischen Fotografenduos Lodzinska-Duda und Kramarz lichtet die engen, liebevoll dekorierten Schlafkojen der Fernfahrer in ihren Trucks aus und lenkt damit den Blick auf die verfehlte EU-Verkehrspolitik. Gemeinsam ist den Autoren, dass sie ein politisches Problem fokussieren, indem sie einen Aspekt gestalten, der zunächst fernliegt. Sie befassen sich mit den Auswirkungen auf konkrete Menschen, der Betrachter spinnt den Faden weiter zu den Ursachen.

Der erste Preis macht etwas ratlos. Die slowakische Fotografin Lucia Nimková erhielt ihn für ihre Arbeit "Unofficial". Ihre inszenierten Szenen haben die östliche Slowakei zur Folie, auch wenn die Untertitel dies nicht verraten. Die Heimat der 1977 geborenen Preisträgerin ist trotz eines slowakischen Wirtschaftswachstums von über 10 Prozent noch immer arm, weshalb sich viel des früheren realsozialistischen Charmes erhalten hat. Holzimitate, Kugellampen, abgewetzte Auslegware und mechanische Schreibmaschinen harren noch der Auswechslung durch westliches Design. In dieses Ambiente stellt Nimková Melkerinnen in bunt geblümten Kitteln, einen hilflos blickenden "former director", eine untätige Bibliothekarin. Sie lässt drei Herren im Anzug unter dem Titel "Competition" wetttrinken und einen anderen zwischen ausgestopftem Bär und Wisent hinter einem Zaun in der Museumsecke posieren. Diese Inszenierungen bewegen sich in Richtung Slapstick und Karikatur.

Natürlich ist es legitim, die Ostslowakei als rückständig zu charakterisieren. Das künstlerische Vorgehen der Preisträgerin überzeugt jedoch nicht, da sie ihre These durch ihre eigenen Arrangements beglaubigt. Möglicherweise aber bieten sich die Nachwehen eines untergegangenen Systems als Thema für die Vergabe eines herausgehobenen ersten Preises an. Zumal die Slowakei als Gewinnerland ins öffentliche Blickfeld gerät. Vor vier Jahren der EU beigetreten, führt sie zum 1. Januar 2009 den Euro ein und wird noch attraktiver als Standort und Absatzmarkt.

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