Früh den Monstern begegnet

Das Central Kino widmet dem Berliner Regisseur und Autor Jörg Buttgereit eine Retrospektive. Schon als Kind sah er japanische Monsterfilme; seine Großmutter las ihm Superhelden-Comics vor. Die Liebe zu Trash und Horror ist ihm geblieben. Ein Porträt

VON ANDREAS RESCH

Im Dezember wird Jörg Buttgereit 45 Jahre alt. Eigentlich kein Alter für einen Filmemacher, wenn man bedenkt, dass Michelangelo Antonioni mit 92 noch gedreht hat und Woody Allen, inzwischen 73 Jahre alt, noch immer jedes Jahr einen Film macht. Insofern mag es zunächst ein wenig ungewöhnlich erscheinen, Buttgereit eine Retrospektive zu widmen, wie es das Central Kino tut, das vom heutigen Mittwoch an für vier Wochen jeweils einen seiner Langspielfilme zeigt. Hält man sich vor Augen, dass das letzte Werk aus dieser Reihe, „Schramm“, bereits 15 Jahre alt ist, erscheint die Angelegenheit plötzlich nicht mehr so absurd.

Schon als Kind, erzählt Jörg Buttgereit in der grell-sterilen Dunkin-Donuts-Filiale am Potsdamer Platz, sei er besessen gewesen von Superhelden. Noch bevor er lesen konnte, musste seine Großmutter ihm Comichefte – „Spiderman“ oder „Die fantastischen Vier“ – vorlesen. Als Jugendlicher entdeckte er dann seine Liebe zum japanischen Monsterfilm: „Es gab einen regelrechten Monster-Boom Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre. Allein in Schöneberg gab es drei Kinos, in denen jedes Wochenende diese Filme liefen. Und mein Vater hat mich schon im Alter von vier Jahren mitgeschleppt.“ So etwas prägt.

Seine erste Kamera bekam Jörg Buttgereit 1977 zur Konfirmation geschenkt, und er begann gleich am nächsten Tag damit zu filmen: den Dreiminüter „Interview mit Frankenstein“, „aus gutem Grund“ bis heute unveröffentlicht. Seit Anfang der Achtzigerjahre trieb er sich in der Berliner Punkszene herum und arbeitete als Filmvorführer im Xenon-Kino in seinem Heimatbezirk Schöneberg. Die eigenen Filme musste er – „notgedrungen“ – über längere Zeiträume hinweg drehen, „da wir niemanden bezahlen konnten und meist nur an den Wochenenden gefilmt haben“.

1987 drehte er seinen ersten Langfilm „Nekromantik“ über einen nekrophilen Leichenbestatter, es folgten „Der Todesking“, „Nekromantik 2“ und „Schramm“. „Die Idee zu meinen Filmen“, erklärt Jörg Buttgereit mit dem ihm eigentümlichen weichen Berliner Akzent, „kam auch aus einer Auflehnungshaltung gegenüber der Zensurpolitik in der Bundesrepublik in den frühen Achtzigerjahren.“ Indem er die Sexualität in den Mittelpunkt seiner Filme stellte und dadurch das ansonsten eher latente Ineinander-Verwobensein von Sex und Gewalt in mal brachialer, mal ironischer, stets aber sehr unterhaltsamer Art und Weise thematisiert hat, hat er das Genre von seiner Verklemmtheit befreit.

Was Buttgereits Filme trotz ihrer exzessiven Gewalt – da werden Schädel gespalten und Penisse mit Nägeln traktiert – von stumpfsinnigem Slashertrash abhebt, sind vor allem ihre melancholischen Momente. Zudem dokumentieren Buttgereits Filme en passant das einengende westdeutsche Spießermilieu der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, was vor allem auf ausländische Filmfans, die ihn immer wieder darauf ansprechen, einen besonderen Reiz auszuüben scheint.

Überhaupt wird aus der Distanz die ästhetische Qualität vor allem von „Schramm“ deutlich – innerhalb von sechs Wochen mit einem Budget von 40.000 DM gedreht und, so Buttgereit, „aus heutiger Sicht fast Kunstkino“. Der Film überzeugt vor allem dadurch, dass er jene beklemmende Atmosphäre einfängt, von welcher der Serienmörder Lothar in seiner unerfüllten Liebe zur Prostituierten Marianne umgeben ist. Zudem konfrontiert einen der Film mit einer ständig kreisenden Kamera, einer Hommage an den „Andalusischen Hund“ sowie einem Cronenberg’schen Vagina-Monster.

Irgendwann, so Jörg Buttgereit, habe er jedoch „die Schnauze voll gehabt“, als Low-Budget-Regisseur zu arbeiten. Frustrierend sei es gewesen, „sich immerzu beschränken zu müssen“. Als ein Angebot vom WDR kam, ein Hörspiel zu produzieren, fand er sich plötzlich in der komfortablen Lage wieder, mit einem soliden Budget und professionellen Schauspielern arbeiten zu können.

Auch in andere Richtungen hat Jörg Buttgereit in den letzten Jahren seine Fühler ausgestreckt. 2005 hat er das „Ramones“-Musical inszeniert, vergangenes Jahr arbeitete er sein Hörspiel „Captain Berlin versus Dracula“ zu einem Theaterstück um, das erfolgreich im HAU lief. Er drehte für Arte einen Dokumentarfilm über Horrorregisseure und schrieb ein Buch über japanische Filmmonster. Momentan spielt er einen Pornoregisseur, der eigentlich Horrorfilme drehen möchte, in einer Internet-Sitcom. Nur konsequent ist das – schließlich geht vom Pornofilm ein Provokationspotenzial aus, das der Horrorfilm abgelegt hat.

Filme von Jörg Buttgereit im Central Kino Berlin: Ab heute, jeweils mittwochs um 22 Uhr. Die Reihe beginnt mit „Nekromantik 1“ in Anwesenheit des Regisseurs. Genaues Programm unter www.kino-central.de/archiv/b/b_buttgereit.php