Die Ritter der Walnuss

Montagabend im Huxley’s: Die Fleet Foxes, Konsensband der Stunde, spielten ein Konzert zwischen Tiefenentspannung und Verstörung. Schön wie eine Wildlederweste

Der Rahmen stimmte. Es war kalt, es wird weihnachtlich. Die Fleet Foxes spielten das letzte Konzert ihrer Tour, und sie spielten es nicht irgendwo, sondern in der kathedralisch anmutenden Halle in Huxley’s Neuer Welt, einem alten Ball- oder Casinosaal im ersten Stock. Noch vor wenigen Monaten hatte für sie das Café Zapata im Tacheles ausgereicht; nun waren sie von einem Indie-Geheimtipp zu einer Größe geworden, die vielleicht mit den Strokes oder Franz Ferdinand vergleichbar wäre, nur dass die Rockmusik machen. Und die Fleet Foxes nicht.

Die Fleet Foxes machen sensible Folkmusik, anmutig, sanft und wesensschön, mit einer Verschraubung und einer Poppigkeit, die nicht nur ihren Erfolg erklärt, sondern sie auch zu etwas macht, was in diese Zeit passt. Es wird Weihnachten, es ist Winter, Holzfällerhemden und Bärte werden in gewissen Kreisen wieder mit Stolz getragen, und das Quartett aus Seattle macht die entsprechende Musik dazu.

Ihr Anfang des Jahres erschienenes Debüt klingt gut halldurchwirkt, die Gitarren werden eher gezupft als angeschlagen, Bass und Schlagzeug werden behutsam und akzentuiert eingesetzt, und über allem schwebt der Chor der Fleet Foxes, vierstimmiger Männergesang, der nicht von ungefähr an die Beach Boys erinnert. Und als Krönung des Chors das Organ des Wunderknaben, des Frontmanns der Verstörung, des soziophoben Hippiekinds Robin Pecknolds, Anfang zwanzig, natürlich mit Bart und Matte.

An diesem schönen Abend im November erinnerte das manchmal auch an die im Müllhaufen der Geschichte vergrabene Männergesangsmusik, die einmal als „Barbershop“ bekannt wurde. Im Huxley’s jedenfalls klang die Musik reiner, satter, deutlicher noch als auf Platte, und bei aller sich ausbreitenden Schönheit so immer auch eine Spur zu schön, sie klang, um es auf den Punkt zu bringen, wie eine frisch gekaufte, fabrikneue Wildlederweste.

Da standen also, nachdem die Vorband aus ihrem Schlagzeuger bestand, der arg kaminfeuerlastige Sensibelsongs auf der Akustikklampfe darbrachte, fünf Männer auf der Bühne, die aussahen, als ob sie direkt einem Dreh einer Kostümklamotte entsprungen wären. Irgendwie englisch wirkte das, diese Kombination aus Bärten, langen Haaren und wohlfeiler Hippiegarderobe. Wie die Ritter der Kokosnuss. Pecknolds trug eine gut erhaltene Bluejeans aus den Siebzigerjahren, nur Schlagzeuger und Vorband J Tillman sah aus wie jemand, der mit Mr Mister oder Blind Melon abhängt, nach Post-Grunge also.

Im Zusammenspiel und Auftritt wirkten die fünf allerdings keineswegs zurückhaltend oder von der anwesenden Zuschauermenge mehr als notwendig eingeschüchtert. Tatsächlich scherzte man herum und warf Weingummischlangen in die Menge. Regelrecht tiefenentspannt wirkten sie, gelöst, vielleicht von der Aussicht auf Ferien und dem Schreiben neuer Songs in der heimischen Hütte. Bei den Zwischenansagen und einigen Kopfbewegungen besonders Pecknolds’ konnte man aber auch erkennen, welche Verstörung da ihr Werk vollbrachte. Fünf verstörte Hippiekinder, immer noch auf dem Byrds-Planeten unterwegs.

In den Songzeilen tauchte so auch mal ein verpasster Anschlussflieger auf, ansonsten blieb es nahezu dörflich. Straßen, Wiesen, die Liebe, das Zwischenmenschliche, die Toten, auch die, die man persönlich gekannt hat und die sich sonst wie ins Jenseits geschossen haben. Heroin wurde in Deutschland erfunden, gab Pecknolds frisches Wikipedia-Wissen von sich, Amerika hat dafür den Imperialismus wieder erfunden, gab Tillman zu bedenken, das gleicht sich aus. Zum Glück gibt es die Fleet Foxes, garantiert clean, historisch korrekt und schön genug für alle. Weihnachten kann kommen. RENÉ HAMANN