Martha Gellhorns Erzählungen: Die schmutzige Wahrheit

Martha Gellhorn war eine kämpferische Publizistin. Nun sind, mit Verspätung, Erzählungen der vor zehn Jahren verstorbenen Autorin auf Deutsch erschienen.

Martha Gellhorn und ihr Mann Ernest Hemingway bei einem Jagdtrip im Sun Valley, im US-Bundesstaat Idaho (1940). Bild: dpa

Ist es kleinlich, sich bei einem historischen Roman zu fragen, warum er in der Vergangenheit spielt?

Martha Gellhorns Erzählungen, die in Amerika 1984 unter dem Titel "The Weather in Africa" erschienen und nun auf Deutsch herauskommen, sind Geschichten aus dem Kenia der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Warum verlegte Gellhorn das Geschehen in die Vergangenheit, warum gerade in diese Vergangenheit? Darauf gibt sie keine Antwort.

Aber ich habe eine Vermutung. Es waren unruhige Jahre für Kenia, der Mau-Mau-Aufstand gegen die Kolonialherrschaft, den die Briten noch niederschlagen konnten, die ersten freien Wahlen 1957, die Unabhängigkeit 1963. Es war eine Zeit der Krise, der Angst, der Rache und Gewalt, kurzum: eine Zeit, die für Geschichtenerzähler viel Stoff hergibt und eine perfekte Kulisse für Beziehungsdramen ist.

Deshalb ist das Kenia der Sechzigerjahre auch Schauplatz zahlreicher historischer Romane, die "Rote Sonne, schwarzes Land" oder so ähnlich heißen und von New-Age-igen Amerikanerinnen geschrieben wurden. An der Uni habe ich einmal eine Seminararbeit über eine solche Autorin verfasst, Barbara Wood, die in Kalifornien lebt und deren Hobby meinen Recherchen zufolge die "Gobelinstickerei" ist. Der Hausarbeit gab ich mit studentischem Hochmut den Titel "Kriterien der Trivialliteratur". Ich habe darin eine Tabelle erstellt, die das Figurenensemble aus Woods Romanen in verschiedene Typen einteilte: in die Guten und die Bösen. Die Guten waren, wenn sie Frauen waren, entweder "von schlichter Schönheit in der Art einer Gartenblume" oder "auf ätherische Weise schön", die Bösen waren "jähzornig" und "herrisch". Die Bösen schrien die schwarzen Diener an, die Guten gaben den schwarzen Dienern die Befehle in einem freundlichen Ton und brachten die kranken Kinder der schwarzen Diener zur Krankenstation.

In Gellhorns Geschichten geht es ähnlich zu.

In der letzten der drei Erzählungen, "Im Hochland", bekommt Grace den Farmer Ian irgendwie dazu, dass er sie heiratet. Die Ehe ist schrecklich, eine Qual, Grace ein zeterndes Weib, überzeugte Rassistin, außerdem wird sie immer hässlicher. Ian dagegen, der nie die Stimme erhebt, nimmt sich heimlich eines kleinen schwarzen Mädchens an, das er liebevoll umsorgt und dem er es nach der Unabhängigkeit ermöglicht, auf eine teure Privatschule zu gehen. Eine andere Erzählung handelt von einem ungleichen Schwesternpaar, das am Fuß des Kilimandscharo lebt: die eine hübsch und eitel, die andere weniger hübsch, aber redlich. Sie findet am Ende ihr Liebesglück, während ihre Schwester für ihren Hochmut büßen muss. "Holzschnittartig" nannten Kritiker Gellhorns Figurenzeichnung.

Man muss sich fragen, warum eine klarsichtige und weltgewandte Publizistin wie Martha Gellhorn solche Klischees braucht, um zu erzählen, was sie erzählen will. "Travels with myself and another" (auf Deutsch bei Rowohlt, aber seit Jahren vergriffen) ist eines der besten Reisebücher, das ich gelesen habe, lässig, originell, klug und frei von dem Kitsch, der heute noch die Grundstimmung so vieler Reisereporte ist (wir erinnern uns an Alice Schwarzers Bericht aus Birma, wo die Menschen "goldhäutig und heiter" seien).

Gellhorn, geboren 1908 in St. Louis im Mittleren Westen, ist eigentlich als Journalistin und Kriegsreporterin bekannt. Sie reiste als junge Frau während der Great Depression durch Amerika und schrieb über die Folgen der Rezession. In den Dreißigerjahren fuhr sie nach Spanien, um über den Bürgerkrieg zu berichten. Nichts habe ihr Denken so geprägt wie die Niederlage der spanischen Antifaschisten, sagte sie später. Sie gehörte zu den ersten Journalisten, die nach der Befreiung durch amerikanische Truppen aus Dachau berichteten. Sie reiste nach Kuba und China, Mexiko, Kenia und Israel und während des Krieges nach Vietnam, um darüber zu schreiben. In den Vierzigerjahren war sie nach London gezogen, wo sie bis zu ihrem Tod 1998 lebte. Es gibt heute in England den Martha-Gellhorn-Preis, einen renommierten Förderpreis für politische Journalisten, den dieses Jahr der Palästinenser Mohammed Omer für seine Berichte über das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen bekommen hat. Der Preis, so die Jury, werde im Geiste Marthas an Journalisten verliehen, dessen Werk die "gängige Deutung der Ereignisse bezweifelt und die schmutzige Wahrheit sagt".

Gellhorns Reportagen leben davon, dass Gellhorn ihren moralischen Standpunkt verteidigt, sie leben von der Subjektivität. "All this objectivity shit", dafür habe sie keine Zeit, hat Gellhorn gesagt. Ihre romantische Radikalität, ihre Urteilskraft haben sie zu einer außergewöhnlichen Reporterin gemacht.

Beim Verfassen ihrer Prosa halfen ihr diese Eigenschaften nicht unbedingt. Auf jeder Seite bezeugt sie in den afrikanischen Erzählungen ihre Verachtung für die Rassisten und Kolonialherren und ihre jammernden Ehefrauen (und für die tumben Touristen mit Sonnenbrand). Das mag politisch richtig sein, und vielleicht kann man sich nicht oft genug gegen Rassismus aussprechen. Aber kalter Abscheu gegenüber den eigenen literarischen Figuren ist keine besonders produktive Haltung. Es ist, als wären Gellhorn ihre Figuren egal: warum sie wurden, was sie sind, und was sich hinter der Oberfläche ihrer Erscheinung verbirgt, die moralischen Grauzonen eines Charakters. Gellhorn erzählt keine Geschichten, sie markiert Fronten.

Die Lektüre wird dadurch nicht gerade spannend. Vor allem aber ist Rassismus ja ein komplexes soziales Phänomen, das man nicht hinreichend beschreibt, indem man eine Grace im Kenia der Fünfzigerjahre einen schwarzen Hausboy anschreien lässt, weil ihm die Schüssel mit Obstsalat heruntergefallen ist.

In der Biografie, die Caroline Moorehead über Martha Gellhorn geschrieben hat, kann man lesen, dass es Gellhorn kränkte, als Schriftstellerin keine Anerkennung zu finden. Sie war von sich enttäuscht, weil es ihr nicht gelang, einen großen Roman zu schreiben. (Außerdem bereute Gellhorn, mit keinem Mann glücklich geworden zu sein, aber das ist eine andere Geschichte.)

Gellhorns Humor und ihre Klugheit sprechen in den Erzählungen aus vielen Sätzen und Gedanken. Aber ironischerweise ist es gerade ihre moralische Klarsicht, durch die ihre Geschichten glanzlos wirken.

Martha Gellhorn: "Das Wetter in Afrika". Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow. Dörlemann Verlag, Zürich 2008, 287 Seiten, 21,90 €

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