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: Die Jukebox-Linke verkriecht sich in die eigene Innerlichkeit

England ist todmüde in „Radio On“ (1979), dem Debüt des britischen Filmkritikers und Filmemachers Chris Petit

Über dem Vorspann, in den Film hinein läuft David Bowies „Heroes“. Und zwar nicht in der regulären Version, sondern in der zweisprachigen Fassung, in der Bowie nach der ersten Hälfte des Songs vom Englischen ins Deutsche wechselt. Regisseur Chris Petit, der in seinem 1979 entstandenen Debütfilm „Radio On“ allzeit sehr genau, vielleicht sogar zu genau weiß, was er tut, wählt diese mit großem Bedacht. Um deutsch-englische Verhältnisse nämlich geht es an der Oberfläche des Films immer wieder und drunter auch.

Petit hatte als Filmkritiker für die Zeitschrift Time Out gearbeitet. Nach dem Debüt „Radio On“ hat er einen Roman von P. D. James verfilmt, später einige Dokumentationen gedreht, unter anderem „Negative Space“ (1999) über den legendären Filmkritiker Manny Farber. Für sein Regiedebüt „Radio On“ konnte er den von ihm sehr verehrten Wim Wenders als Koproduzenten, dazu noch Wenders’ Kameramann Martin Schäfer und Wenders’ Lebensgefährtin Lisa Kreuzer als Darstellerin gewinnen. Die Ähnlichkeiten von Petits Film mit dem Frühwerk des Vorbilds sind nicht zu übersehen: „Radio On“ ist ein Roadmovie in Schwarz-Weiß und zeigt einen Mann, der verloren durch ein in düsterer Schönheit todmüde daliegendes England fährt. Eine Jukebox kommt vor und die Musik, die zu alledem spielt – im Radio, im Autokassettenrekorder – ist von zentraler Bedeutung für die Atmosphäre, aber auch die politästhetische Verortung des Films.

Zur Schallplattensammlung gehören: Bowie in Englisch und Deutsch. Kraftwerk mit unter anderem „Radioactivity“. Wreckless Eric. Ian Dury. Robert Fripp. Devo. Angekündigt wird das schon im Vorspann des Films, auf dem Cover der DVD stehen die Namen der Musiker ganz oben. Auch Sting tritt auf, aber als Schauspieler. Er spielt eine der Figuren am Wegesrand, denen der Protagonist, der DJ Robert (David Beames) auf seiner Fahrt von London nach Bristol begegnet. Sting ist ein Tankstellenwärter, der Musiker sein will; oder ein Musiker, der als Tankstellenwärter sein Geld verdient. An einer Zapfsäule stehend singt er zur Gitarre sein Lied.

Roadmovie-simpel ist der Plot: Robert will in Bristol dem Tod seines Bruders nachforschen. Auf dem Weg dahin trifft er Menschen, einen Deserteur zum Beispiel, den er später wieder aus dem Auto wirft. Großartig sind viele der Bilder von Straßen in Städten, von der Fahrt auf der Autobahn, vom Flugzeug, das neben der Straße soeben startet. Schön sind die Bilder, schön und schwarz-weiß, und ihre Schönheit macht den Film immer wieder zu einem in Bewegung gesetzten Fotoband mit hinreißenden Bildern und mitreißend kühler elektronischer Musik. Sehr genau ausgedachte Kamerabewegungen gibt es aber auch.

Im Radio läuft Musik, dazwischen Nachrichten. Es geht um Terrorismus, um Politik, in England, in Deutschland. Einmal steht an der Wand eines Hauses ganz unvermittelt „Free Astrid Proll“. Trostlos ist, aller Liebe, mit der die Straßen und Städte eingefangen sind, zum Trotz, das England, das der Film vorführt, das England vor Thatcher, ein England versehrter und verlorener Seelen. „Radio On“ ist eine radikale Absage an dieses England und somit das Dokument einer in die eigene Innerlichkeit verkrochenen Jukebox-Linken, die der Welt nur noch Musik hörend, also gar nicht mehr beikommt. Der ziemlich humorlose Handke-Weg ins wunschlose Unglück.

Vielleicht kein Wunder, dass das Ende am überzeugendsten ist, wenn Robert sein Auto zur Kraftwerk-Musik an einem Abgrund abstellt und wenn er dann in den Zug steigt und der Zug fährt aus dem Bild und der Held aus dem Film und der Abspann tickert von rechts nach links auf die Leinwand. „Radio On“ ist ein Film, der wie sein Regisseur Chris Petit nicht sehr viele, aber sehr glühende Verehrer hat. Die haben auf diese DVD sehnsüchtig gewartet. Sie lässt wenige Wünsche offen. Es gibt ein 30-seitiges Booklet, ein Videointerview mit Petit, und den 1999 entstandenen „Radio On Remix“ findet man auch. EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist bei Amazon-Drittanbietern ab rund 16 Euro erhältlich