berliner ökonomie
: Zwischenwelt von Gabe und Ware

Über den anhaltenden Streit, wo der Wert einer Ware gebildet wird und was für eine „Realität“ er hat – wenn überhaupt

Zwischen Gaben- und Warentausch liegen Welten, konkret: der Wert, den Georg Simmel in seiner „Philosophie des Geldes“ in einer real existierenden „Zwischenwelt“ ansiedelt. Im Zusammenhang der „Krise des fiktiven Kapitals“ brachte der Politologe Elmar Altvater in der Studentenzeitung Critica gerade das Marx’sche „Wertgesetz“ erneut ins Spiel. Es ging ihm dabei jedoch um eine neue „solidarische Ökonomie“, die er der staatlichen Planung entgegensetzte.

Es gibt einen anhaltenden Streit darüber, wo der Wert einer Ware gebildet wird und was für eine „Realität“ er hat – wenn überhaupt. Diese Diskussion hat bereits Marx mit sich selbst geführt. Grob gesagt bildet sich der Wert für die „Erlanger Marxisten“ in der „abstrakten Arbeit“, während er für die „Bremer Marxisten“ in der Nachfolge der „Frankfurter Schule“ eher in der Tauschhandlung Geltung hat.

Genau zwischen diesen Wertsituierungen scheiterte ich nun – und das kam so: Immer wieder hatte ich Freunden bei der Renovierung ihrer Wohnung geholfen, also meistens Wände und Türen gestrichen. Einmal heuerten mich deswegen vier Kunststudenten an, die in Dahlem zwei Wohnungen renovieren wollten. Ich sollte dabei einige Zimmer neu streichen. Sie hatten mit dem Wohnungsbesitzer einen Festpreis ausgehandelt, wobei sie den ortsüblichen Stundenlohn zugrunde gelegt und den auf die voraussichtliche Gesamtstundenzahl hochgerechnet hatten. Den Stundenlohn hatten sie vorher bei einigen Kommilitonen, die Schwarzarbeitserfahrung besaßen, ermittelt. Der Wohnungsbesitzer hatte sich Ähnliches ausgerechnet, wobei er sich bei einigen Schwarzarbeiterkolonnen und Hausbesitzern in seiner Nachbarschaft kundig gemacht hatte. Er war dabei auf eine niedrigere Summe gekommen. Die Auftragnehmer hatten sich dann mit ihm, dem Auftraggeber, etwa in der Mitte der Preisdifferenz geeinigt. Auch ich hatte mich diesbezüglich informiert – bei einem Bildhauer, der ein Haus in Lüchow-Dannenberg besaß. Er meinte, dort würde den polnischen Arbeitern beziehungsweise Handwerkern 20 D-Mark die Stunde gezahlt, den dort lebenden Spiegel-Redakteuren allerdings bloß 15 D-Mark. Unser Stundenlohn in Dahlem lag dazwischen – wenn wir den Auftrag zügig abwickelten.

An einem Samstag fingen wir an. Für das Schlafzimmer, das ich mir als Erstes vornehmen sollte, mischte ich ein Blassblau an – und begann. Leider reichte die Farbe nicht für alle Wände. Ich mischte neue an. Dabei traf ich jedoch nicht ganz den Ton. Bevor ich noch einmal eine Mischung ansetzte, musste ich erst einmal warten, bis die verstrichene trocken war. Meine Kollegen wurden immer nervöser. Einer gab sich schließlich einen Ruck und sagte, sie würden jetzt das ganze Schlafzimmer noch einmal streichen – ohne mich. Ich war quasi entlassen.

Bedrückt schlich ich davon. Unterwegs machte ich mir Gedanken über den Unterschied zwischen einer wertlosen Gabe als Freundschaftsdienst und einer preislich fixierten Ware in Form einer Arbeit – als Leistung. Später erklärte mir einer der Kunststudenten, ich sei für den Job „nicht professionell genug“ gewesen. Viel später entdeckte ich den Unterschied zwischen Gabe und Ware auch noch bei anderen: Wenn etwa ein ABM-Team neben einer Handwerkergruppe eingesetzt wurde. Diese arbeiteten quasi im Akkord und jene, die zwar überqualifiziert, aber untermotiviert waren, bekamen zirka 900 D-Mark netto im Monat. Ein ABMler aus dem Osten klärte mich auf: Das sei jetzt wieder wie früher im Sozialismus: „Die da oben tun so, als ob sie uns bezahlen würden, und wir tun so, als ob wir arbeiten würden.“ Das kannte ich noch von meiner bescheidenen LPG-Erfahrung in der Wende: Da drohte meine eigene Rinderpflegerbrigade mir mit der „roten Karte“ – wenn ich zu eifrig war: Das stecken sich nur wieder die da oben an den Hut. Der Heidelberger Politologe Manfred G. Schmidt konstatiert ein „maßloses Auseinanderklaffen von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Sozialausgaben“ – in der DDR.

Nun leben wir aber alle im (entfesselten) Kapitalismus – und da lässt sich Gaben- und Warentausch klarer unterscheiden. Im linken Journalismus besteht er z. B. darin, dass man mit seiner Arbeit entweder die „Kacke des Seins“ umgraben oder aber möglichst elegant die „Formate“ füllen will. Man muss dabei vielleicht „Kompromisse“ eingehen, aber eins weiß ich inzwischen: Die „Professionalität“ ist fürn Arsch! HELMUT HÖGE