Dem Revolutionär in Christus nachgelebt

Auf den Spuren eines Freundes, der nach Bolivien ging: Der Film „Der Pfad des Kriegers“ von Andreas Pichler

Am Anfang steht das Ende: 1990 stürmt in Bolivien ein Sonderkommando des Militärs das Versteck einer Guerillatruppe, die den Coca-Cola-Repräsentanten des Landes verschleppt hat. Im Kugelhagel sterben die meisten der Entführer und ihre Geisel. Unter den Toten ist der Anführer der Gruppe: Michael, 29 Jahre alt, aufgewachsen in Südtirol und wenige Jahre zuvor als katholischer Geistlicher nach Südamerika gekommen, um das Wort Gottes zu verbreiten.

Wie wird einer vom Christen zum Terroristen? In „Der Pfad des Kriegers“ skizziert Regisseur Andreas Pichler die Stationen einer sich stetig radikalisierenden Biografie vor dem Hintergrund der Stimmungen und Konflikte eines Jahrzehnts. Nach 1968 blickte die Jugend in Europa voller Erwartung auf die Befreiungskämpfe in der Dritten Welt – natürlich aus sicherer Entfernung. „Wir saßen mit unseren Ponchos in den Tiroler Berghütten und hörten ‚Sandinista‘ von The Clash“, erinnert sich der Regisseur selbst. Zu Hause war alles schon gelaufen: der Straßenkampf verloren, die Hoffnungen der Revolution im terroristischen Kampf aufgerieben.

Pichler, der als Erzähler durch den Film führt, hat den „Commandante Miguel“ in seiner Jugend gekannt. Im katholischen Freizeitlager war der Ältere den jüngeren Kindern ein Vorbild: im Auftreten selbstbewusst, von seinem Glauben überzeugt, hilfsbereit. Einer, der nicht bloß aus der Ferne zuschauen konnte, sondern tatkräftig „das Reich Gottes auf Erden“ vorbereiten wollte. Dass er Priester werden will, steht immer schon fest. Er studiert erst Theologie in London, lässt sich dann als Novize der Jesuiten nach Südamerika versetzen.

Dort sind Geistliche tätig, die zum Missfallen des Vatikans das Unrecht, das sie täglich sehen, tatsächlich anprangern. Befreiungstheologen, die dem Volk predigen, dass in Zeiten der Not alle das Recht auf das Notwendige haben. Michael setzt sich für die Entrechteten ein, sieht die Misere der Minenarbeiter von Potosí, erlebt die Armut auf dem Land. Immer öfter ist in seinen Briefen die Rede davon, dass auch Christus ein Revolutionär gewesen ist. Der sich eingesetzt und dafür gelitten hat, der für seine Taten von den Machthabern hingerichtet wurde. Irgendwann liest er die Schriften von Karl Marx und Che Guevara. Irgendwann verschwindet er, geht in den Untergrund.

Die Bibel aber bleibt sein erster Bezugspunkt. Ein Gotteskrieger.

Pichler hat viele Jahre nicht mehr an seinen Bekannten aus Jugendtagen gedacht. Aber als im Sommer 2005 wieder gebildete junge Männer im Namen ihrer Religion Bomben werfen, diesmal im Herzen Europas, beschließt er, aus dieser vergangenen Geschichte einen Film zu machen, um die Gegenwart besser zu verstehen. Aber trotz seiner Recherchen in Südamerika, trotz der Gespräche mit Freunden und ehemaligen Mit-Kombattanten, trotz der Briefe an seine Mutter, die diese unter Tränen selbst vorliest, und der Archivaufnahmen eines glücklichen Kindes im Schnee der Tiroler Alpen – am Ende bleibt auch dem Zuschauer nur das Fazit, das Michaels Bruder zieht: „Ich habe begriffen, dass ich es nicht verstanden habe.“

DIETMAR KAMMERER

„Der Pfad des Kriegers“, bis 17. 12. im fsk Oranienplatz