Alles so schmutzig

Warum Rauchen nicht mehr cool ist und andere Symptome der Gegenwart untersucht der Kulturhistoriker Robert Pfaller in seinem neuen Buch

VON STEFAN NIKLAS

Kann ein Film, dessen Held eine Affäre mit einer reifen Frau hat, dann aber mit deren Tochter durchbrennt, die von einem anderen Mann schwanger ist, ein Happy-End haben? Könnte also ein Film wie „Die Reifeprüfung“ auch heute gedreht werden?

Der Kulturtheoretiker Robert Pfaller meint, dass dabei „allenfalls ein trockenes Stück Provokation oder ein traurig moralisierendes Lehrstück“ übrig bliebe. Wieso ein solcher Film nicht mehr den heiteren Charakter haben kann, den die Geschichte um Mrs. Robinson hatte, wieso Rauchen nicht mehr cool, sondern eine gesundheitsgefährdende Verschmutzung sein soll und aus welchen Gründen die vielen Krimi-Serien keine lässigen, korrupten, verzweifelten, in das verbrecherische Milieu hoffnungslos verstrickten Kommissare mehr zeigen, sondern naturwissenschaftliche Laborpolizisten à la „C.S.I.“, die den moralisch degenerierten Täter am zurückgelassenen Schmutz erkennen – solche Fragen treiben den Linzer Professor für Kulturtheorie Robert Pfaller in seinem neuen Buch „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft“ um.

Pfaller geht es dabei um eine Analyse der Gegenwartskultur, die nicht nur danach fragt, was in einer Kultur möglich ist, sondern vor allem, was in ihr unmöglich geworden ist. Und so wie er es sieht, ist die Integration des Schmutzigen in besonderem Maße unmöglich geworden. Nach Sigmund Freud, einem der Gewährsmänner Pfallers, hatte in jeder Kultur das Heilige die Funktion, Gegensätzliches zu vereinen; das Heilige ist nicht einfach gut und rein, sondern immer auch schlecht und unrein. Schmutzig eben.

Wenn es aber in einer Kultur zu umfassenden Profanisierungen kommt, so bleibt oft nur das Schmutzige zurück, das zuvor noch seine Ordnung im Heiligen fand: „Der ‚Schmutz‘, den in ihren jeweils verzerrten Wahrnehmungen die Spezialeinheiten von ‚C.S.I.‘, das postsexuelle Kino und die Nichtraucherinitiativen angewidert wahrnehmen, ist das Unreine dessen, was noch vor kurzem das alltägliche Heilige der Kultur gebildet hat.“

Schuld daran, dass Phänomene nur noch als Schmutz wahrgenommen werden, hätten letztlich die unangemessenen Anforderungen der reinen Vernunft – diese produziere den Schmutz, weil sie entweder Lustgewinn verweigere wie im Fall „schmutziger“ Sexualität oder indem sie aus dem schwierigen Verhältnis von Gesellschaft und Verbrechen ein positivistisch-forensisches Puzzle mache.

Das „alltägliche Heilige“, das sind unsere kleinen Tabakzeremonien, das Küssen eines Fotos einer geliebten Person, das Einreden auf das nicht startende Auto ebenso wie die Rede von „Charisma“ und „Aura“ und schließlich das Interesse am „Glamour“ der „Stars“. Es sind von ihren Ursprüngen entfremdete Versuche zu „zaubern“, wobei wir genau wissen, dass wir das nicht können. Wir spielen eben und wissen auch, dass es nur ein Spiel ist, doch hat dieses Spiel seinen „heiligen Ernst“.

Von den Schultern Johan Huizingas und dessen Theorie des Spiels aus nähert sich Pfaller Phänomenen, wie beispielsweise Schlägereien von rivalisierenden Fußballfans, die ganz genau wissen, dass Fußball „nur ein Spiel“ ist, sich aber gerade deswegen vermöbeln, weil sie das Spiel nicht frei macht, sondern durch seinen heiligen Ernst in einen Bann zieht.

„Symptome der Gegenwartskultur“ lautet der Untertitel des Buches und auch wenn Bücher und Titel häufig in eher loser Verbindung zueinander stehen, passt dieser ganz gut. Denn Pfaller legt mit seinem neuen Werk eine Art Sammlung von „Symptomen“ vor, die in ihrer Fülle auf das „Syndrom“, welches unsere Gegenwartskultur ist, verweisen. Denn so wie das Syndrom nur an seinen Symptomen erkannt werden kann, lässt sich eine Kultur auch nur an ihren Erscheinungsweisen erkennen, an dem, was in ihr möglich oder eben unmöglich ist.

Pfaller durchstreift bei seiner Suche nach solchen Symptomen sehr verschiedene Bereiche: Krimis, „postsexuelles“ Kino, Karneval, Populismus, bildende Kunst, um nur einige zu nennen. Dass diese Fülle an Phänomenen und das immense Repertoire an Theorien (neben Huizinga treten der Psychoanalytiker Octave Mannoni, Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein, Richard Sennett und viele andere auf) nicht zum Potpourri werden, liegt vor allem an Pfallers prägnantem Stil. Streckenweise gerät das gar zur zornigen Kulturkritik, die zähnefletschend die Biopolitik des Rauchverbots angreift. Pfaller zielt auf eine Verteidigung der Lust und will die Vernunft als wahre Vernunft in jene Schranken weisen, innerhalb derer sie auch etwas verloren hat.

Robert Pfaller: „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur“. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2008. 224 Seiten, 12,95 €