Warenkunde: Weihespiele des Konsums

Weihnachtsmärkte stellen andere Formen des Konsums auch nicht infrage, sondern bestätigen sie eher noch.

Auf den Weihnachtsmärkten begegnet uns dieselbe Überfülle und Reizüberflutung wie in Kaufhäusern. Bild: dpa

Alljährlich im Dezember entladen sich auf zahllosen Weihnachtsmärkten gewaltige kunsthandwerkliche Energien. Fast alle Plätze der Republik sind von Budendörfern und Bastlern in Besitz genommen. Zusätzlich werden auf Ständen in Gemeindesälen und Mehrzweckhallen Weihnachtsschmuck und Accessoires, ja die Produkte vielfältiger Hobbyszenen feilgeboten. Und überall zelebriert man einen Antimodernismus, wie er sonst am ehesten von Manufactum vertreten wird. An manchen Orten treten die Budenbetreiber sogar in Biedermeierkostümen oder gleich wie im Mittelalter auf, und auf dem Adjektiv "traditionell" beharren selbst Märkte, die es erst im dritten Jahr gibt.

Kreativität und Selbstgemachtes werden nostalgisch gegen eine industrialisierte Massenkultur ins Feld geführt; man nimmt Authentizität für sich in Anspruch, während man der restlichen Welt Entfremdung und Kälte unterstellt. Tatsächlich lässt sich die eigene Wärme auch nie so gut und kontrastreich in Szene setzen wie im Winter, wenn das Frieren zum Alltag gehört.

Es erstaunt nur, dass die vermeintliche Gegenwelt zum profanen Konsum selbst alle Merkmale des Modernismus aufweist. Auf den Weihnachtsmärkten begegnet uns dieselbe Überfülle und Reizüberflutung wie in Kaufhäusern; vieles Angebotene ist außerdem zynisch nutzlos und lediglich dazu da, irgendwie Geld einzubringen. Die Kommerzialisierung regiert also auch hier. Erst recht deprimierend sind all die Märkte daher für die Ärmeren, die vor Weihnachten noch stärker als sonst erfahren müssen, dass es alles nur gegen Geld gibt. So ist der Antimodernismus eine Fortsetzung des Modernismus mit denselben Mitteln.

Damit stellen die Weihnachtsmärkte andere Formen des Konsums auch nicht infrage, sondern bestätigen sie eher noch. Sie haben daher nicht die Funktion, die mancher ihnen unterstellen wollte, ja sie sind, im Unterschied zu den Saturnalien im alten Rom und zum ursprünglichen Karneval, keine Entlastungsevents, die durch eine befristete Negation herrschender Normen als Ventil wirken. Dass sich die Weihnachtsmärkte in den letzten Jahren exponentiell vermehrt haben (auf der zentralen Website www.weihnachtsmarkt-deutschland.de werden allein rund 1.500 solcher Märkte vorgestellt), zeugt also nicht etwa von einem gestiegenen Kompensationsbedarf.

Vielmehr bezieht der Boom an Weihnachtsmärkten seine Dynamik von den Anbietern: Die Kunsthandwerker und Bastler treibt das Verlangen, sich mit ihren Erzeugnissen zu präsentieren. Immerhin besitzen sie oft nur diese eine Chance im Jahr, breitere Aufmerksamkeit zu finden. Die Wochen vor Weihnachten haben sich so zu Weihespielen der Kreativität entwickelt. Aus Hobbykellern, Garagen und Werkstätten taucht auf, wer während des Jahres sägt, klebt und malt; der öffentliche Raum reicht dafür kaum noch aus.

Ein solches Überangebot ist aber ein Kennzeichen von Wohlstandsgesellschaften. Und so künden die zahllosen Weihnachtsmärkte weniger von einem tiefen Frust über die moderne Welt als von den enorm vielen Möglichkeiten und Freiräumen, die den Einzelnen heutzutage zur kreativen Entfaltung geboten sind.

Die gute alte Zeit wird nicht beschworen, weil man da wirklich gerne leben würde, sondern aus Spaß an virtuellen Zeitreisen und Fiktionen. Gerade weil alle drängenden Bedürfnisse längst erfüllt sind, finden viele luxuriöses Vergnügen daran, vermeintlich ein bisschen aus der Gegenwart zu springen und sich ein paar Gefühle zu gönnen, die es sonst am ehesten im Kino gibt.

Dem Wohlstand ist auch ein weiteres - seinerseits hochkommerzielles - Phänomen geschuldet, nämlich der Weihnachtsmarkttourismus. Die Atmosphäre von Kreativität ist offenbar so eigentümlich, anziehend und exotisch, dass sie sogar zu Fernreisen veranlasst. So werden in Japan Europatouren angeboten, deren Programm allein darin besteht, an sechs Tagen acht Weihnachtsmärkte zu besuchen: von Straßburg über Nürnberg nach Wien. Davon profitieren die Städte wohl mehr als die einzelnen Budenbetreiber, konsumieren die meisten doch weniger all die geschnitzten Engel und bemalten Christbaumkugeln als vielmehr die reine Stimmung. Dennoch fühlen sich die Kunsthandwerker durch so viel Besuch bestätigt. Und da die noch freien Plätze allmählich knapp werden, wird man die Märkte künftig zeitlich ausdehnen. In diesem Jahr werben schon die ersten damit, auch über die Feiertage hinaus geöffnet zu bleiben: Damit man endlich unbelastet vom Vorweihnachtsstress bummeln und einkaufen kann.

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