Bendlerblockbuster "Operation Walküre": Chronik eines angekündigten Filmes

Bryan Singers Film "Operation Walküre" hat hochnervöse Debatten ausgelöst. Jetzt ist er fertig - aber noch nicht in den Kinos.

Zu der Hysterie steht 'Operation Walküre' in eklatantem Missverhältnis: Tom Cruise als Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Bild: ap

Bryan Singers "Operation Walküre", der Spielfilm über das gescheiterte Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944, mündet in eine mehrminütige Parallelmontage. Die Protagonisten der Verschwörung werden an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten hingerichtet oder wählen den Selbstmord. Singers mise en scène bewegt sich dabei auf beiden Seiten, auf der der Opfer wie auf der der Henker; sie blickt mit den Augen des von Tom Cruise gespielten Claus Schenk Graf von Stauffenbergs in die Gewehrläufe und, umgekehrt, mit den Augen der Schützen auf den, den zu töten sie im Begriff sind.

Dabei legt der Regisseur großen Wert auf Suspense; durch die Schauplatzwechsel und die Zeitsprünge, die die Parallelmontage mit sich bringt, wird der Gang der Dinge hinausgezögert. So können Details und der ihnen innewohnende Grusel großen Raum einnehmen. Wenn einige der in das Attentat Verwickelten in einer Fleischerei erhängt werden, schaut sich die Kamera die Fleischerhaken aus der Nähe an. Zwar erspart sie uns den Anblick der fallenden Körper, aber sie hält auf den dünnen Draht und dessen Zuckungen. Wie derjenige, der an dem Draht hängt, unterhalb des Bildrands den Tod findet, bleibt der Vorstellungskraft des Zuschauers überlassen. Eine gnädige Aussparung ist das nicht; im Gegenteil: Es ist eine Ellipse, die die Grausamkeit des Vorgangs ausstellt.

Der französische Filmkritiker Serge Daney hat einmal notiert, dass es beim Filmen einer Hinrichtung darauf ankomme, wo sich die Kamera positioniere: auf der Seite des Henkers? Oder auf der des Hingerichteten? Daney hat sich diese Gedanken vor einem Vierteljahrhundert gemacht, zu einer Zeit, als Godards berühmtes Diktum, eine filmische sei auch eine moralische Einstellung, Wirkmacht hatte.

Schaut man sich die Reaktionen auf die New Yorker Premiere von "Operation Walküre" an, die am Montag stattfand, wird man feststellen, dass diese Art, Film zu diskutieren, démodé ist. Die Aufmerksamkeit gilt technischen oder erzählerischen Problemstellungen, etwa der, wie Singer es schafft, eine Geschichte, deren Ausgang als bekannt vorausgesetzt werden kann, mit Suspense aufzuladen. Mark Harris scherzt in der New York Times: "Spoiler-Warnung: Hitler überlebt". Singers Gegenprogramm besteht darin, in möglichst vielen Szenen eine Art von Binnen-Suspense aufzubauen; immer wieder werden Einzelhandlungen, etwa das Scharfmachen der Bomben, hinausgezögert. Im Branchenblatt Variety wird dem 90 Millionen Dollar teuren Film ein mäßiges Einspielergebnis prophezeit; Todd McCarthy fragt sich, wie "Operation Walküre" es schaffen kann, beim US-amerikanischen Publikum Anklang zu finden - Weltkriegsfilme funktionierten in der Regel nur, solange US-Soldaten darin vorkämen.

Wer in Deutschland über "Operation Walküre" nachdenkt, neigt dazu abzugleichen, ob der fertige Film der Aufregung, die er im unfertigen Zustand auslöste, gerecht wird. Angesichts der Hypernervosität der Debatten, die die Dreharbeiten im Sommer 2007 flankierten - man erinnere sich nur an Florian Henckel von Donnersmarcks ganzseitige Auslassung über Tom Cruise, Stauffenberg und den ungedrehten Film im Juli 2007 in der FAZ oder an die Verleihung des Burda-Medienpreises in der Kategorie "Courage" an Tom Cruise im November 2007 - ist die Frage leicht geklärt: Zu so viel Hysterie steht der Film in eklatantem Missverhältnis.

Dabei bietet "Operation Walküre" - und das ist ein Verdienst - tatsächlich die Gelegenheit, sich ein paar grundsätzliche Gedanken zu machen. Wie spektakulär und suspensereich kann und soll ein Film über ein historisches Ereignis ausfallen? Singer hat in dieser Hinsicht offenkundig wenig Skrupel. Findet "Operation Walküre" Wege, nicht nur die heroischen, sondern auch die ambivalenten Seiten der Attentäter ins Bild zu rücken? Damit tut er sich schwer. Und kann er eine Entsprechung dafür finden, dass Geschichte viel mehr ist als das Werk großer Persönlichkeiten? Auch hier fällt die Antwort eher negativ aus - wobei es bis zum deutschen Starttermin, dem 22. Januar, ohnehin noch eine Weile dauert und die Diskussion erst beginnen kann, wenn der Film in den Kinos ist.

Die Schlüsselfrage indes ist, was man von einem Film über den 20. Juli 1944 überhaupt erwartet: Will man Differenziertes, Neues über den Nationalsozialismus und den Widerstand dagegen lernen, oder begnügt man sich damit, einen je nach Gusto gut oder mäßig funktionierenden Thriller zu sehen? Noch vor 20 Jahren hätte das Sujet zu viel Respekt verlangt, als dass es in Entertainment hätte überführt werden können. Möglicherweise ist Singers Film den entsprechenden deutschen Anstrengungen, sich im Medium des Kinos der Geschichte anzunehmen, einen kleinen Schritt voraus: Hierzulande zehren Regisseure und Produzenten noch von der Gravitas des Themas; Singer macht sich davon frei, indem er unverhohlen aufs Entertainment setzt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.