Immer den Fluchtweg sichern

Was denkt der Theatertechniker, wenn er den Regisseur so machen sieht? Showcase Beat Le Mot haben mit sechs Technikern ein Stück entworfen, unter ihnen Frieder Bars und Wolfgang Lehmann. Ein Treffen mit den Bühnenmeistern vorab

VON ESTHER SLEVOGT

Einmal die riesige Scheibe der Drehbühne zu einem gigantischen Schallplattenspieler umfunktionieren. Scheinwerfer und Züge, an denen sonst Dekorationen hängen, zum Tanzen bringen. Überhaupt die Bühne und ihre technischen Möglichkeiten endlich nutzen, ohne regie- oder anderweitig fremdbestimmten Kunstzwang. Einmal das Riesenspielzeug Theater zum reinsten interesselosen Wohlgefallen in Bewegung setzen.

Dass dies geheime Träume von Bühnentechnikern sein könnten, nahmen zumindest die Performer von Showcase Beat Le Mots an, die zum zehnjährigen Bestehen ihrer Formation diese Techniker daher einmal auf die Bühne holen wollten. „On#nO – Stromsturm für Elektra“ heißt der Abend. Der Titel verfährt dabei ebenso assoziativ mit den Möglichkeiten der Sprache wie die Performance mit denen der Bühne – Elektra hängt also weniger mit der antiken Theaterheldin als der klanglichen Nähe zur Elektrik zusammen.

Insofern war es nahe liegend, sich statt mit Showcase mit zwei der sechs Protagonisten zum Gespräch zu verabreden. So sitzen in der dem HAU angegliederten Gaststätte WAU nun Frieder Bars und Wolfgang Lehmann. Frieder Bars, der sein Berufsleben lang Bühnenmeister war, u. a. am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und später auf Kampnagel. Dort hatte er Ende der 90er-Jahre Showcase Beat le Mots kennengelernt, die den inzwischen pensionierten Meister nun nach Berlin verpflichteten. Und Wolfgang Lehmann, der als freiberuflicher Bühnenmeister so ziemlich an allen Berliner Bühnen gearbeitet hat, auch immer wieder am HAU.

Verordnungswirrwarr

Ist es also wirklich so, dass man als Techniker von ganz anderem als die Künstler träumt? Na ja, so richtig wollen beide das nicht bestätigen, obwohl sie es auch nicht direkt verneinen. Doch im Alltag ist man, wie sie durchblicken lassen, meist viel zu beschäftigt, als dass wirklich Zeit für solche Fantasien bliebe. Besonders mit den technischen Vorschriften zur Sicherheit, die von den Künstlern gern ignoriert werden und deren Einhaltung sie zu überwachen haben. Fast wichtiger als die Premiere ist daher die Bauabnahme, zu der meist drei Tage zuvor Vertreter vom örtlichen Bauamt, der Feuerwehr und dem „Lagetsi“, also dem Landesamt für Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit, Bühne und Bühnenbild überprüfen.

Einem Gastspielhaus wie dem HAU bereitet der föderale deutsche Verordnungswirrwarr hier oft zusätzliche Probleme: wenn bei einem Gastspiel aus Dresden die Bühne beispielsweise nach sächsischen Vorschriften nur Fluchtwege von 90 Zentimetern realisierte, wo doch die in Berlin geltende Sonderbauverordnung Fluchtwege von 120 Zentimetern vorschreibt. Hier muss dann der Bühnenmeister für entsprechende Anpassung sorgen, damit der berühmte Lappen bei der Premiere überhaupt hochgehen kann.

Und so führt das Gespräch bald in tiefe, unbekannte Weiten einer fremden, vorindustriellen Welt. Eine Welt, in der es noch Berufe wie den des Gürtlers, also Metallbearbeiters, oder des Rüstmeisters gibt, der für die Theaterwaffen zuständig ist. Man hört von alten Lichtbogenscheinwerfern, bei denen man tatsächlich den Strom als Lichtbogen fließen sehen können soll. Und von despotischen, rücksichtslosen Regisseuren und Bühnenbildnern, die Techniker in Manier alter Manchesterkapitalisten ausbeuten und demütigen. Schon allein deshalb ist es ein Verdienst, die Bühne einmal für die Techniker freizuräumen. Doch ob es dabei tatsächlich nur um Technikerfantasien geht, bleibt offen.

Herr und Knecht

Denn wahrscheinlich ist es der Verdacht vieler Theatermacher, die Bühnentechniker, die sie mit der Realisierung ihrer Konzepte beauftragen und die dann die Ergebnisse backstage Abend für Abend verfolgen können, während sie selbst längst abgereist sind, könnten über ein geheimes Wissen verfügen. Die, die im Dunklen bleiben, während sie sich vor dem Vorhang verbeugen, könnten also im Grunde viel mächtiger und klüger sein als sie selbst.

Eine klassische Figur des Begehrens eigentlich, deren Dialektik vor 200 Jahren schon kongenial vom Berliner Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel beschrieben worden ist. Hegel, der in seiner Auseinandersetzung mit dem Verhältnis Herr- und Knechtschaft nämlich festgestellt hatte, dass der Herr durch die Arbeit des Knechtes zwar die Herrschaft über die Natur (im vorliegenden Fall das Theater) gewinnt, der Knecht jedoch mit seiner Arbeit den Herrn selbst in ein Abhängigkeitsverhältnis versetzt. Und dass der Knecht sogar die Möglichkeit hat, einmal die Herrschaft zu erlangen, weil er im Verlauf seiner Knechtschaft zu einem Wissen gelangt, das ihm die Macht über seinen Herren in die Hände gibt. Seitdem weiß der kluge Herr natürlich: Diese Prozesse muss man steuern, um am Ende nicht unverhofft selbst der Knecht zu sein.

„On#nO Stromsturm für Elektra“, 18. bis 20. Dezember im HAU 1, um 19.30 Uhr