Kann Fernsehen Kino sein?

Amphibienfilme: So heißen Filme, die fürs Kino und fürs Fernsehen produziert werden – aktuell zum Beispiel „Buddenbrooks“ von Heinrich Breloer. Versaut das Fernsehen das Kino, wie Kritiker fürchten?

Es handelt sich um einen ideologischen Grabenkampf der Älteren, der sich spätestens in 20 Jahren erledigt hat

VON KLAUS RAAB

Gernot Roll teilt Volker Schlöndorffs Meinung nicht. In der Süddeutschen Zeitung warnte Regisseur Schlöndorff 2007 vor einer Gefährdung der ästhetischen Autonomie des Kinos. „Für eine Trennung von Film und TV“ hieß sein Plädoyer, und die Kurzzusammenfassung lautete: Das Fernsehen versaue das Kino, weil es zu viel reinquatsche.

Roll gehört zu den großen deutschen Kameraleuten. Er lebt von Kino und Fernsehen gleichermaßen; soeben hat er die Kino- und die Fernsehfassung der „Buddenbrooks“ in Bilder gegossen, vorher den Kinofilm „Nirgendwo in Afrika“ oder den Fernsehfilm „Das Mädchen Rosemarie“. Und sein Beitrag zur Debatte über die Trennung von Kino und Fernsehen lautet: Es gebe nichts zu trennen. „Hier wie da geht es um das Erzählen von Geschichten mit Bildern“, sagt er. „Aus meiner Arbeit heraus kann ich sagen: Es gibt keinen Unterschied.“

Auch „Buddenbrooks“-Regisseur Heinrich Breloer hat sich gegen eine „medientheoretische Debatte“ ausgesprochen, in der Kino und Fernsehen gegeneinander ausgespielt würden. Die Grenzen seien fließend, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Und er liebe beides.

Nur – ganz so einfach ist es dann doch nicht. Es geht schließlich auch um Geld und Einfluss. Und da hört wie allgemein bekannt die Liebe auf.

Wenn am 25. Dezember „Die Buddenbrooks“ im Kino anläuft, ist der Einfluss des Fernsehens auf das Kino wieder einmal erwiesen. Die Frage ist nur: Wie schlecht oder gut ist er? Ohne die Öffentlich-Rechtlichen – in diesem Fall sind etwa WDR, BR, NDR, SWR und Arte Koproduzenten – würde es diesen Film so nicht geben, und alle anderen sogenannten Amphibienfilme auch nicht. Günter Rohrbach prägte den Begriff „Amphibienfilm“ in den 70ern, als er Fernsehspielchef des WDR war und, stellvertretend für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den jungen deutschen Film und damit die Arbeit von Regisseuren wie Schlöndorff oder Fassbinder mitfinanzierte. 500.000 Mark etwa steuerte der WDR 1975 zu Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ bei. Der Begriff „Amphibienfilm“ sollte ausdrücken, dass ein Film in beiden Medien die gleiche Berechtigung habe, so wie Amphibien zu Lande und im Wasser leben.

Nur ist heute nicht mehr 1975. Wenn nun von Amphibienfilmen die Rede ist, geht es um Kinofilme, von denen zusätzlich eine längere Fernsehfassung angefertigt wird. Schon Wolfgang Petersens „Das Boot“ (1980/81, von Rohrbach produziert) existierte in einer Kinoversion wie als TV-Mehrteiler. Mittlerweile hat das Modell Konjunktur: Von den Kinofilmen „Untergang“, „Anonyma“, „Baader Meinhof Komplex“, „Die Päpstin“, „Die Buddenbrooks“ und dem gerade entstehenden „Henri Quatre“ nach Heinrich Mann gibt es ebenfalls längere Fernsehversionen. „Buddenbrooks“ etwa dauert im Kino 150 Minuten, im Fernsehen laufen später zweimal 90 Minuten.

Finanziert wurden diese exklusiven TV-Fassungen auch mit Mitteln aus den Kinoförderungstöpfen. Wie „Staubsauger“, schrieb Schlöndorff, leerten die öffentlich-rechtlichen Sender zur Finanzierung eigener großer Projekte diese Töpfe (die, was die Sache vertrackt macht, von den Sendern zuvor mitgefüllt werden). Und er monierte, man sei bei Amphibienprojekten zum Schludern gezwungen. Zwar erhöhe sich die Länge eines Films, Drehzeit und Budget aber nicht.

Das nennt Kameramann Gernot Roll „Blödsinn: Fernsehen wird mit der gleichen Akribie und der gleichen Hingabe gemacht wie Kino“, sagt er. „Es ist ja nicht so, dass die Teile, die exklusiv fürs Fernsehen entstehen, billiger gemacht werden.“ Natürlich gebe es immer wieder Konflikte mit Fernsehredakteuren, „die versuchen, sich auch inhaltlich einzubringen“, sagt Roll. „Aber das ist immer eine Frage der personellen Konstellation.“

Gebhard Henke ist der Nachfolger von Günter Rohrbach als WDR-Fernsehspielchef, der federführenden ARD-Anstalt bei der Produktion der „Buddenbrooks“, und auch er weist die Kritik zurück: „Wenn man dem Fernsehen wirklich diesen negativen Einfluss unterstellt, muss man auch fragen: Wie soll diese Beeinflussung eigentlich konkret vor sich gehen? Es kommt ja niemand vom WDR an den Set und sagt: Hallöchen, jetzt macht mal eine miese Einstellung, das ist fürs Fernsehen.“ Es sei, findet er, „naiv zu sagen, das allmächtige Fernsehen darf sich nicht des Kinos bemächtigen. Das Kino verändert sich ja ohnehin. Man spielt mit Material, mit Videoästhetik, und vice versa hat sich auch die Ästhetik des Fernsehens verändert.“ Er folgert: „Kino und Fernsehen verschwimmen. Das hat aber nichts mit dem Modell des Amphibienfilms zu tun.“

Warum es das Amphibienmodell überhaupt geben muss? Gebhard Henkes Sicht ist die: Ein Film, der ohne die Leistung des WDR nicht zustande gekommen wäre, komme ins Kino, dann würden DVDs verkauft, dann laufe der Film im Bezahlfernsehen, dann bei Arte, und ganz am Ende im Ersten. „Wird uns das am Ende der Kette wirklich gutgeschrieben? Nö“, sagt Henke. Wogegen man – wie immer, wenn es um die Öffentlich-Rechtlichen geht – einwenden kann, dass sie eben immer noch Gebührengelder ausgeben.

Wie es zu einer Entkrampfung kommen soll? Vielleicht durch Zeit. Gebhard Henke sagt: „Es handelt sich hier um einen ideologischen Grabenkampf der Älteren, und ich glaube, er erledigt sich in 20 Jahren. Junge Regisseure machen ganz selbstverständlich ihr Kinodebüt und anschließend einen ‚Tatort‘.“ Zur Aufweichung harter Positionen hat er schon einmal ein paar warme Worte parat: „ ‚Ben Hur‘ kann man mit Erfolg im Fernsehen zeigen“, sagt er, „aber Sie können ‚Lindenstraße‘ oder ‚Schwarzwaldklinik‘ nicht im Kino zeigen.“ Kino, sagt Henke, besitze eine „unique Wertigkeit“. Klingt wie von Schlöndorff. Ist von einem Mann des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.