Unter Dauerbeschuss

Der Handel mit Schnellfeuergewehren – darüber erfährt man viel in dem Dokumentartheaterstück „Kindersoldaten“ von Hans-Werner Kroesinger im Theater an der Parkaue. Allein das Leben kommt zu kurz, und die Kinder bleiben kleine Pappkameraden

VON ESTHER SLEVOGT

Ein Büro mit Tischen und Aktenordnern drauf. Dazu Thermoskanne, Locher und Schreddermaschine. Hinten eine Medienwand mit Weltkarte und zwei Bildschirmen. Bald sieht man hier afrikanische Kinder erst ausgelassen im Meer toben, dann aber auch schon in Kampfanzügen durchs Land streifen. Auf den Rücken der Aktenordner stehen Namen von Ländern und Kontinenten, Afrika zum Beispiel. Die vier Mitarbeiter des Büros, zwei Männer und zwei Frauen, werden später immer wieder daraus zitieren: Verordnungen, UN-Resolutionen, Asylbestimmungen. Dokumentationen von Einzelschicksalen zum Thema Kindersoldaten, denen der neue Theaterabend von Hans-Werner Kroesinger am Theater an der Parkaue gewidmet ist.

Kroesinger benutzt in seinen Inszenierungen das Theater als Medium, Fakten emotional aufzuladen und szenisch zu beleben. Im Theater an der Parkaue, wohin schon vormittags ganze Schulklassen pilgern, gelang ihm das zuletzt mit einem Stück über die Kindertransporte jüdischer Kinder ins britische Exil in den Jahren 1938/39. Nun also das brutale Rekrutieren und Verheizen von Kindern in militärischen Konflikten, vornehmlich in Afrika und Lateinamerika.

Zur Einleitung entfachen die Mitarbeiter des Büros erst einmal ein statisches Feuerwerk: Ein Schnellfeuergewehr kostet in Afrika so viel wie eine Ziege. Zwei Millionen dieser Waffen, meist Marke Kalaschnikow Typ AK-47, sind in der Region im Umlauf. Ebenso viele Kinder starben in den vergangenen zehn Jahren in militärischen Konflikten. Dann werden Handelswege der Waffen aufgezeigt und auf der Weltkarte mit Sender- und Empfängerland verzeichnet. Man erfährt, dass die idyllische belgische Hafenstadt Ostende ein Hauptumschlagplatz im internationalen Waffengeschäft ist. Hört von der deutschen Firma Heckler & Koch, die ein höchst beliebtes Schnellfeuergewehr produziert, das leicht zu bedienen und zu transportieren ist, weshalb man besonders gern Kinder damit ausstattet, und das in Lizenz auch im Iran produziert wird, Embargo hin oder her. Überhaupt helfen Abkommen und Resolutionen wenig.

Um was für ein Büro es sich handelt, bleibt ungewiss. Es könnte eine Menschenrechtsorganisation sein. Oder eine Behörde, die sich mit Asylanträgen befasst. Die Mitarbeiter sind in elegantes Business-Outfit gewandet, fast zu schick für Bürokraten. Sind wir also bei der UNO? Andererseits werden ständig Akten geschreddert. Hat man hier vielleicht etwas zu verbergen? Ganz klar wird das im Verlauf der knapp 90 Minuten, die der Abend dauert, nicht werden.

Aus den Akten lassen Kroesinger und sein Ensemble Birgit Berthold, Stefan Faupel, Corinna Mühle und Peter Priegann bruchstückhaft immer wieder Fälle von Kindern steigen, die Soldaten werden mussten: in Sierra Leone, Uganda, Äthiopien, Kolumbien oder Paraguay. Ihre Zeugenaussagen werden in kurzen Sätzen zitiert, manchmal in gebrochenem Deutsch. Man erfährt von brutalen Rekrutierungspraktiken, wie Kinder zwecks Abhärtung zur Kampfmaschine gezwungen werden, Freunde und Familienangehörige zu ermorden oder deren Ermordung zuzusehen. Dass die so initialisierten Kinder besonders gefährliche und skrupellose Soldaten sind.

All das ist natürlich schlimm und wird hier zu Recht angeprangert. Trotzdem ermüdet man schnell im Dauerbeschuss mit Fakten. Man ahnt die Grundidee, die papiernen Fälle als Schicksale auf der Bühne lebendig werden zu lassen. Die Geschichte von Dico zum Beispiel, der mit neun Jahren in Sierra Leone zum Kindersoldaten wird, seine Familie sterben sieht und nun mit 17 irgendwo in Deutschland schwer traumatisiert lebt und jederzeit wieder abgeschoben werden kann.

Zu Illustrationszwecken holen die vier Schauspieler immer mehr Pappfiguren mit den Silhouetten waffentragender Kinder auf die Bühne. Doch die Pappkinder bleiben unanimiertes Spielmaterial, der Abend rotiert auf der Stelle. Das Informationsgebirge wächst und erstickt irgendwann jedes Interesse.

Am Ende kommt der Datenfluss in Europa an, wo man Kindersoldaten bereits seit dem Dreißigjährigen Krieg eingesetzt habe, während das Phänomen in Afrika erst in den letzten Jahrzehnten aufgetreten sei. Pappkinder in historischen Uniformen gesellen sich zu den afrikanischen Kampfkindern im Nike-Shirt. Böses Europa, armes Afrika!

Erschöpft fragt man sich, wie sich erst Kinder und Jugendliche fühlen werden, für die der Abend gedacht ist. Frontalunterricht in politischer Weltkunde scheint dagegen ja fast das geringere Übel zu sein. Denn der dauert nur 45 Minuten.

Weitere Vorstellungen: 23. 5. und 6. 6. jeweils um 10 und um 18 Uhr