Neues aus Laberland: Christian Krachts neues Werk

Kann er es nicht besser - oder will er es einfach nicht? Christian Kracht betreibt in seinem neuen Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" eine Demontage des Erzählens.

Themenlieferant für Krachts neuen Roman: ein fiktiver Lenin Bild: dpa

Was die Historiker kontrafaktische Geschichtsschreibung nennen, ist eigentlich ein grundpoetisches Prinzip: das Spiel mit Fakten und historischen Konstellationen und die Spekulation darüber, ob die Weltgeschichte nicht einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können. "Was wäre, wenn?" ist die Frage, die all diese Spekulationen in Gang setzt. Sie ist es auch, die den Erzählanlass von Christian Krachts neuem Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" bildet. Was wäre geschehen, wenn Lenin 1917 nicht in dem plombierten Zug von Zürich nach St. Petersburg gefahren wäre? Was wäre geschehen, wenn die bolschewistische Revolution in den Schweizer Bergen stattgefunden hätte?

Die Antwort, die Kracht gibt, fällt einigermaßen verheerend aus. Fast ein Jahrhundert ist seit dem revolutionären Umsturz vergangen. Hundert Jahre, in denen der Krieg, den die Aufstände ausgelöst haben, nie aufgehört hat. Die Ideale einer sozialistischen Gesellschaftsordnung kursieren zwar noch immer, aber eklatanter könnte die Kluft zur Realität kaum sein: Die Schweiz ist ein Land geworden, das von einer Militärkaste regiert wird, durch Jahrzehnte des Krieges zermürbt und in einen archaischen Zustand zurückgefallen ist.

Das allerdings erfährt man eher nebenbei. Kracht zeichnet kein gesellschaftliches Panorama, sondern er erzählt eine Episode aus dem Leben seines Protagonisten, der als einer von vielen Legionären aus Afrika gekommen ist und in der kommunistischen Partei Karriere gemacht hat. Der Ich-Erzähler hat den Auftrag, den abweichlerischen Oberst Brazhinsky festzunehmen. Eine Verfolgung, deren Ablauf in etwa so überschaubar ist, als würde man ständig selbst durch die Schneeverwehungen des Schweizer Winters blicken, der über allem Geschehen liegt, endet schließlich an den Alpen. Das Gebirgsmassiv ist zu einer monumentalen Festung ausgebaut worden, Trassen durchziehen sie auf mehreren Ebenen, riesige Fahrstühle transportieren Soldaten hinauf und hinunter.

Als der Ich-Erzähler hier schließlich dem gegenübersteht, den er festnehmen soll, ist sein Auftrag plötzlich wie weggeblasen. Zu auratisch erscheint ihm plötzlich der Mann, den er aus der Ferne noch als Ausgeburt an Mittelmäßigkeit empfunden hat.

Es ist nicht der Kürze der Zusammenfassung geschuldet, dass diese Wendung einigermaßen abstrus anmuten mag. Es ist das Prinzip, das Krachts Roman insgesamt bestimmt: Alles ist irgendwie referenz- und zusammenhangslos. Die Dialoge verlaufen sich im Nirgendwo oder kreisen ums Nichts. Deshalb erübrigt sich auch, weitere Details des Geschehens wiederzugeben. Krachts Textgebäude nämlich entspricht dem, was sein Protagonist als Eindruck von seiner Umgebung gewinnt: Sie erscheint ihm als eine Theaterkulisse.

Auch Krachts Text ist Kulisse. Was sich als literarisches Erzählen ausgibt, ist tatsächlich eine Versammlung von rhetorischen Versatzstücken und Stilblüten. Archivisten der Gegenwart hat der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler die Generation der Popautoren einmal genannt. Christian Kracht war mit Debütroman "Faserland" im Jahr 1995 vielleicht derjenige, der am mustergültigsten vorgeführt hat, wie man die Oberflächenphänomene der Wirklichkeit zu einer passgenauen Mentalitätsstudie zusammenfügt.

In seinem jüngsten Roman nun wendet Kracht wiederum das Prinzip des Archivierens an. Er sammelt Versatzstücke aus der literarischen und historischen Oberfläche und verwebt sie zu einem Text. Was aber als literarisches Verfahren für die Gegenwart seine Berechtigung entfaltet hat, das wird äußerst fadenscheinig, wenn es sein Material im Imaginären und Vergangenen schöpfen muss. Deshalb wohl trifft man mit fortschreitender Seitenzahl immer häufiger auf metaphorische Andeutungen von allen möglichen Drogenerlebnissen. Wo der Zusammenhang fehlt, wird alles in den Mantel des Rausches gehüllt. Der Werbetrailer übrigens, der eigens für Krachts Roman produziert worden ist, verwandelt diesen Rausch äußerst wirkungsmächtig in Bilder.

In Krachts Text findet man keine großen Bilder, dafür trifft man umso mehr auf einigermaßen bemühte Kulturkritik. Eine Art Leitthema ist der fortschreitende Untergang der Buch- und Schreibkultur, den der Krieg mit sich bringt. Natürlich hat es da eine gewisse Konsequenz, dass Kracht diesen prophezeiten Untergang nun in seinem eigenen Text quasi performativ durchexerziert.

Die Frage, ob er es nicht besser kann, wäre also falsch gestellt. Kracht will vermutlich kein besseres Buch schreiben. Er steht damit im Programm von Kiepenheuer & Witsch durchaus in einer gewissen Tradition, gilt doch der Kölner Verlag - neben seinen hochliterarischen Ambitionen - als Ort für geniale Dilettanten wie Helge Schneider oder Harald Schmidt, die in ihren Büchern das Prinzip der Hochkultur permanent torpedieren, indem sie passionierten Nonsens produzieren.

Was Kracht allerdings fehlt, ist der Witz, mit dem Schneider oder Schmidt ihre literarische Simulationen betreiben und aus dem zuweilen erstaunliche Scharfsicht entsteht. Krachts Roman liest sich deshalb als der eines modernen Dandys, der mit gelangweilter Geste vorführt, dass das Buch als Kulturgut, das emphatisch etwas erzählen will, sich erledigt hat.

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