Lotterleben, Gott etc.
: Perspektivlos

Eine harmlose Straßenszene. Die beiden Männer da, sagt Abu Amar, sind Cousins von al-Sarkawi. So beginnt „Recycle“. Wir sind in Sarka, Jordanien. Abu Amar, der Protagonist dieser Dokumentation, sammelt mit seinem Pickup Pappe in den Straßen der Stadt und bringt sie zur Recycling-Anlage. Sein kleiner Sohn ist immer dabei. Abu Amar hat einen langen Bart, ist frommer Muslim, hat sich mit seinem Vater überworfen und war einige Zeit in Afghanistan Leibwächter der Mudschaheddin. Er glaubt an die heilsame Wirkung von Kamelmilch. Nachts geht er in einen leer stehenden Ladenraum, wo tütenweise Schnipsel mit Gedanken Abu Amars zum Koran gesammelt sind und wo ein Computer steht, an dem er daraus ein Buch über den Islam zusammenfügen will.

Al-Sarkawi, Giftgasexperte der al-Qaida, Anführer des Widerstands im Irak, 2006 bei einem gezielten US-Angriff getötet, stammte aus Sarka. Auf der Couch sitzen zwei Männer, Freunde von Abu Amar, die sich erinnern. An den unheiligmäßigen Trinker al-Sarkawi, der eigentlich Ahmed Fadil hieß; daran, dass man ihn nie in der Moschee sah. Sie stellen fest, dass er mit dieser Kehre vom Lotterleben zu Gott im perspektivlosen Sarka nicht der einzige war.

Die Stadt Sarka sehen wir vor allem mit dem Blick der Kamera aus dem Auto heraus. Geschäfte, die vor dem Fenster vorüberziehen. Die Stadt, die sich in der Brille Abu Amars spiegelt. Der Eindruck von der Stadt bleibt verwischt, aber auch der Eindruck von Abu Amar bleibt verwischt. Der Film bekommt ihn nicht recht zu fassen. Er wirkt freundlich, offen, weist den zudringlichen Blick der Kamera nicht ab. Aber er verteidigt die Mudschaheddin. Einmal reist er für zwei Wochen in den Irak, als er wiederkommt, ist der Bart abrasiert. Er liest vor aus dem Buch zum Islam, das er schreibt, das sind sehr scharfe Töne: Es gibt keine größere Sünde, heißt es da, für den Muslim, als im Land der Ungläubigen zu leben.

„Recycle“ ist eine Spurensuche, aber eine, die immer wieder seltsam im Sande verläuft. Ein Film, der sich aufmacht, Erklärungen für die Wendung von Menschen zum fundamentalistischen Islam zu finden, dabei aber vor allem zur Erkenntnis gelangt, dass es Erklärungen so ohne weiteres nicht gibt. So bleibt, was Abu Amar am Ende tut, beinahe unbegreiflich. Die Teile des Puzzles, die einem „Recycle“ in die Hand gibt, fügen sich zu einem Bild, aber es ist ein Bild, das zu gleichen Teilen fasziniert und vexiert. EKKEHARD KNÖRER

Mahmud al-Assad: „Recycle“, (Jordanien, Niederlande, Deutschland 2007)