Die große, unbeantwortete Frage

Für eine engagierte Filmkritik ist hier alles möglich, außer einem - Geld zu verdienen: Am Donnerstag fand im Filmhaus am Potsdamer Platz ein Symposion unter dem Motto „Filmkritik im Zeitalter des Internet“ statt

In Zeiten der Verlagskrisen können manche Journalisten offenbar ihren Beißreflex nicht länger zurückhalten. Dann ist das Internet mal wieder schuld. An allem. Was den Anzeigenrückgang und damit eine wichtige Einnahmequelle angeht, mag das zutreffen. Aber weil man gegen ökonomische Zwänge, die sich angeblich mit quasi natürlicher Notwendigkeit einstellen, schlecht anschreiben kann, verlegt man sich auf das Qualitätsargument des „Wir können das aber besser“. Wenn der eigene Job gefährdet ist und die Honorare nicht mehr so üppig ausfallen wie einst, verteidigt man wenigstens den Alleinvertretungsanspruch auf die Deutungshoheit kultureller Phänomene. Wäre ja noch schöner, wenn da jeder mitreden könnte.

Das oder Ähnliches muss sich Josef Schnelle, Filmkritiker der Berliner Zeitung, gedacht haben, als er Mitte August seinem Zorn freien Lauf ließ und unter der Überschrift: „Warum wir Filmkritik brauchen“ umstandslos die Diagnose stellte: „Die Internet-Blogs zersetzen das informierte und unabhängige Urteil.“ Im Internet, wo jeder ohne redaktionelle Vorauswahl oder vertraglich bestätigte Kritikerkompetenz schreiben kann, was er oder sie will, sei dermaßen viel Schund zu lesen, so Schnelle, dass die professionelle Filmkritik eher früher als später verschwinden werde.

So weit, so kulturpessimistisch. Weil sich der Verband der deutschen Filmkritik (VDFK) Schnelles Schnellschuss offenbar nicht anschließen wollte, veranstaltete er am Donnerstag im Filmhaus am Potsdamer Platz ein eintägiges Symposion unter dem Motto „Filmkritik im Zeitalter des Internet“. Dessen Ergebnis: Im Internet ist für eine engagierte Filmkritik alles möglich, außer eines: Geld verdienen.

Alles ist erlaubt im Netz: Seinen Blog minütlich auffrischen oder zwei Monate lang ruhen lassen; zu aktuellen Filmen schweigen oder vor Start als Raubkopie ins Netz stellen; den Leser einbinden oder auf lästige Kommentare verzichten; das Essay, das Tagebuch, die gesprochene Rede als Form des Schreibens wählen oder sich dafür entscheiden, dem etablierten Feuilleton kostengünstig nachzueifern.

In seinem Vortrag stellte Ekkehard Knörer, der als Filmkritiker und Betreiber des Blogs jump-cut.de in beiden Welten zu Hause ist, einen ganzen Strauß meist englischsprachiger Websites vor, auf denen Filmkritiker in kompetenter Weise – und ohne Bezahlung – öffentlich über das Kino und die Filmkunst nachdenken. Kritiker sind keine Journalisten, erinnerte er. Während sich die einen an den Startterminen abarbeiteten, die von der Filmindustrie vorgegeben werden, dürfe ein Weblog sich den Luxus leisten, ohne Zielgruppenfixierung, dem Diktat der Zeilenlänge und des Aktualitätsdrucks zu schreiben.

Schön und gut, nur, so wandte Thierry Chervel, Mitbegründer von perlentaucher.de, ein: Wenn „Öffentlichkeit“ mit gutem Grund das ist, was in den traditionellen Medien stattfindet, wie kann verhindert werden, dass die Online-Welt in lauter Nischen oder Teilöffentlichkeiten zerfällt, in denen für jedes Spezialinteresse eine URL vorgehalten wird? Für ihn setzt die Misere der Filmkritik weit vor dem Internet ein. Waren früher Filme noch Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Debatten, würden heute aktuelle Filme nur noch aufs Titelblatt meinungsführender Politmagazine gehoben, um aus Eigeninteresse massiv Werbung für diese zu betreiben.

Was die Weblogs angeht, steht für Chervel zudem fest: „Es gibt kein funktionierendes Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus im Internet.“ Daher seine Forderung, dass öffentliche Institutionen im Filmbereich – Hochschulen, Sendeanstalten, Museen – sich als Sponsoren verstehen müssten. Nur durch Subventionierung könne im Internet eine Diskussion über Filmkultur entstehen, die nicht auf Selbstausbeutung und Leidenschaft beruhe.

Dass das Netz eine reichhaltige Fundgrube und eine Plattform fachkundiger Diskussionen für Cineasten bietet, stand am Ende der Tagung somit außer Frage. Wo sich jedoch ein Zeitungsfeuilleton verorten soll, das sich weder die Freiheiten und den Luxus des Liebhabertums leisten kann, noch sich auf einen Filmstartservice nach dem Motto „Daumen rauf oder runter“ reduzieren lassen möchte – diese Frage blieb unbeantwortet.

DIETMAR KAMMERER