Das Messer an der Kehle

Mit dem Zeichenstift in die Vergangenheit reisen: Mit sieben Jahren kam Hamed Eshrat aus dem Iran nach Deutschland. Für den Studenten des Kommunikationsdesigns an der Kunsthochschule Weißensee ist der Comic ein Weg zu den eigenen Wurzeln

VON NILS MICHAELIS

Ein stoischer Chomeini, durchgeknallte Revolutionswächter und Frauen im pechschwarzen Tschador: Das Gesicht der Islamischen Revolution im Iran ist grimmig und düster. Auch der Comic „Kaiser-Schnitt. Iran 1979“ lebt von apokalyptischen Stimmungen und furchteinflößenden Fanatikern. Doch dem Berliner Autor Hamed Eshrat geht es nicht vordergründig um ein Bild vom politischen Umsturz von 1979. „Ich habe diese Arbeit gemacht, um meine Wurzeln kennen zu lernen“, sagt der deutsch-iranische Grafikdesigner, der im Jahr des fundamentalistischen Umsturzes geboren wurde.

Sieben Jahre nach dem Umsturz gingen die Eshrats nach Deutschland. Zur Vorbereitung für seinen Comic ließ der Zeichner seine Mutter das Erlebte auf Tonbändern nacherzählen. „Um zu verstehen, was meine Familie durchlebt hat. Ich hab das alles als Kind nur vom Bauch her mitbekommen“, sagt er. Acht Monate verbrachte er am Zeichenbrett auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit.

Das Ergebnis ist das sehr persönliche Fragment einer Zeitenwende, entstanden als Abschlussarbeit seines Studiums des Kommunikationsdesigns an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Seit vergangenem Sommer hat der 29-Jährige in Eigenregie einige Exemplare seines Comic-Erstlings produziert. Einen Verleger sucht er noch.

Es ist eine Geschichte voller Brüche und Umkehrungen von Werten. Unter dem Schah arbeitete Eshrats Vater für den Geheimdienst Savak. Als „kleiner Fisch“ am Schreibtisch, der mit Verhören nichts zu tun hatte, heißt es in der Familie. „Natürlich hatte der Savak Dreck am Stecken“, fügt Eshrat mit kritischem Unterton hinzu. In den Bildern seiner Geschichte sieht man, wie die Familie eine unaufgeregte Mittelklasse-Existenz mit Restaurantbesuchen und Varieté-Abenden pflegt.

Doch nach Chomeinis Rückkehr aus dem Exil wurde alles anders. Der plötzlich zum Todfeind erklärte Vater, die Mutter, die Tochter und der ungeborene Sohn Hamed entgingen nur knapp der Ermordung. Befand sich die Familie vorher auf der sicheren Seite der Gesellschaft, drohte nun das völlige Abseits.

Gewohnte Alltagsvernügungen galten plötzlich als westlich dekadent. Diese Erlebnisse prägen „Kaiser-Schnitt“. Der Titel steht Pate für „das Gefühl, das Messer an der Kehle zu haben“, sagt der Autor. Darin scheinen vor allem die Erfahrungen seines Vaters mitzuschwingen: Jetzt wurde der Sicherheitsdienstler von jenen Menschen bedroht, die sein Apparat einst brutal bekämpfte.

Eshrat deutet die mentalen Folgen dieser Situation nur an, lässt die Bilder für sich sprechen. Die innere Leere des Vaters spiegelt sich in ebenso leeren und hoffnungslosen Blicken wider. Seine Existenz löst sich auf wie das Stück Zucker in jenem Teeglas, welches das Ende der Geschichte einleitet. Jene Szene ist zugleich die Klammer zur Anfangssequenz: Der Strudel im Saftglas als Menetekel für das kommende Chaos.

Eshrat macht die permanente Bedrohung in kargen, aber durchdringenden Schwarz-Weiß-Bildern lebendig. Durch den Wechsel der Perspektiven kann sich der Leser in jene Menschen hineinversetzen, deren Erfahrungen der Autor abzubilden im Sinn hatte. Die naiv anmutenden Skizzen von Menschen und Orten scheinen bisweilen dem Blick seiner Schwester auf die Schrecken des Jahres 1979 zu folgen. In ihrer Klarheit wirken sie wie die kindliche Spielart des Realismus eines Joe Sacco, der seinerzeit den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina in einer Art Comic-Reportage verarbeitet hat. Einen deutlichen Kontrast liefert die Erlebniswelt der Eltern – deren Ängste, Träume und inneren Wirren werden in symbolischen bis surrealen Formen verkörpert, gleichsam als Korrektiv zur rein beobachtenden Sicht des Kindes. Eine Polarität, die inhaltlich und stilistisch überzeugt.

Die erlebnisbetonte – wohl vor allem den Erinnerungen der Mutter geschuldete – Darstellung der Geheimdienstler-Familie als „kleine Leute“, die vom Strudel der Ereignisse fortgerissen werden, ist nicht unproblematisch. Einerseits kann sie als Apologie von Mitläufern gesehen werden, die der Illusion erlegen waren, als Teil des Systems ein unschuldiges Nischendasein pflegen zu können – und nicht verstanden, warum ausgerechnet sie der Rache der neuen Mächtigen ausgesetzt waren. Andererseits könnte gerade dieses in Teilen der vormaligen Elite mögliche „unpolitische“ Selbstbild die ideologischen Grenzen des Schah-Regimes aufzeigen. Und dass jeder Mensch in Situationen geraten kann, die sich einer Analyse entziehen, weil sie die Vorstellungskraft sprengen.

Der Comic zeigt, wie die Verlusterfahrung und Orientierungslosigkeit der Eltern zu Konstanten werden. Die Ausreise in die Bundesrepublik wird daran wenig ändern. Während Mutter und Vater den Iran mit nach Deutschland nahmen, hat der Sohn ihn erst als Erwachsener für sich entdeckt. „Als ich 2002 das erste Mal wieder nach Iran gereist war und aus dem Flieger stieg, sagte ich mir: Das ist meine Heimat“, erinnert sich Eshrat. „Der Iran schmeckt und riecht anders als Deutschland.“

Eshrat denkt über weitere Comic-Projekte nach. Etwa über das Leben im Iran von heute – ein Land, das er trotz vertrauter Menschen, Gerüche und trotz der anhaltenden Repression unter dem Mullah-Regime kaum wiedererkennt, wie er sagt: „Es gibt im Iran einen extrem hohen Anteil junger Menschen. Die haben nichts mehr mit der Revolution zu tun. Sie pflegen einen anderen Umgang mit den Konventionen, wenn auch oft hinter verschlossenen Türen.“ Laute Musik auf der Straße sei indes immer noch undenkbar: Ihm, dem Fan von Open-Air-Festivals, scheint diese Einschränkung geradezu körperliche Schmerzen zu bereiten. Der Künstler hofft auf eine langsame, aber stetige Öffnung und Demokratisierung seines Geburtslandes. Darauf, dass seine Verwandten und Freunde im Iran eines Tages genauso frei leben können wie er in Berlin. Wer weiß, wie viele Comics Eshrat bis dahin noch zeichnen wird.