Buch von W. J. T. Mitchell: Der Wille der Bilder

Verfügen Kunstwerke über eine eigene Seele? Der amerikanische Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell verfolgt diese Frage vor dem Hintergrund neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.

Ein Bild mit eigenem Willen: Das Klonschaf Dolly. Bild: ap

Als Gott herausfinden wollte, wie das Goldene Kalb entstanden sei, dem seine Israeliten dreist huldigten, erhielt er eine seltsame Antwort: Man habe bloß Gold ins Feuer geworfen und dabei sei das Kalb herausgekommen - sozusagen ganz von allein. Die Geschichte aus dem Alten Testament ist das beste Beispiel für die Frage, die sich der amerikanische Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell stellt: "Wieso verhalten sich Menschen so, als wären Bilder lebendig, als verfügten Kunstwerke über eine eigene Seele?"

In "Das Leben der Bilder" lässt sich der Erfinder des "pictorial turn", der sich gegen den berühmten "linguistic turn" der Semiotiker absetzt und auf der eigentümlichen Erfahrungswelt der Bilder beharrt, auf ein faszinierendes Gedankenspiel ein: Wenn man Kunstwerken einen eigenen Willen und sogar ein eigenes Begehren zugesteht - und wenn es nur hieße, dass sie nichts wollen -, was lernt man dann über unsere Beziehung zu ihnen? Dass wir in "magischen, vormodernen Haltungen" gegenüber Bildern gefangen sind, setzt Mitchell voraus. Doch hält er dies nicht für einen bedauerlichen Lapsus, sondern präpariert in virtuosen Schnitten durch den Diskurs mit und über Kunst heraus, wie die jüngsten Entwicklungen von Technik, Medien und Wissenschaft diese Haltungen sogar noch verstärken.

Während die Bilder der einstürzenden Twin Towers 2001 wie die Kopie eines "Die hard"-Thrillers bei uns ankamen, so beschleicht uns beim Anblick des geklonten Schafs Dolly das subtile Grauen von "Das Schweigen der Lämmer". In beiden Fällen handelt es sich aber nicht um eine reine Fantasieprojektion unsererseits. Wir wissen, dass die Türme real eingestürzt sind, und wir haben gelernt, dass Dolly ein Wesen ist, das sich selbst exakt reproduziert hat. Die Bilder haben ein unheimliches Eigenleben, das uns etwas abzufordern scheint: Respekt, Demut.

Mitchell erinnert an die Tradition des Totemismus und des Einbalsamierens, die einerseits einem Objekt eine reale Macht über Körper und Geist zuschreiben, andererseits einem Wesen, das für die Ewigkeit einbalsamiert wird, in den Status eines Kunstwerkes überführen. In dieser Ambivalenz flimmern Bilder (gemeint sind unsere mentalen Bilder, die von den technisch-materiellen genährt werden) heute mehr denn je: "Der uralte Mythos von der Schöpfung lebendiger Bilder, der Erzeugung eines intelligenten Wesens mithilfe künstlicher technischer Mittel, ist dank neuer Medienkonstellationen … auf vielen Ebenen möglich geworden."

Der besonders lohnende letzte Teil des Buches untersucht, wie sich unsere vagen Vorstellungen zu jüngsten naturwissenschaftlichen Fortschritten - die Entschlüsselung der DNA, das Klonen, der Fortschritt der Computer - mit Hollywood-Blockbuster-Images von intelligenten Robotern und Urzeitwesen aller Art mischen.

Nach einem bestechenden Auftakt liest sich Mitchells Buch über lange Strecken wie eine Verteidigungsschrift gegenüber seinen Kollegen aus der Kunstwissenschaft, die mithilfe der Theorien von Sigmund Freud, Jacques Lacan, Gilles Deleuze und Slavoj Zizek das gleiche Feld bestellen. Tatsächlich geht das Buch auf eine Reihe von um 2000 entstandenen wissenschaftlichen Vorträgen und Aufsätzen zurück.

Dass er ein Meister der Bildanalyse ist, lässt Mitchell nur in verstreuten Betrachtungen zu politischen Plakaten, Plattencovern und dem romantischen englischen Maler William Blake aufblitzen. Dabei gelingt ihm unter anderem der Nachweis, dass das Leben und der Wille der Bilder unabhängig von ihrem Motiv ist - ein wunderbarer Ansatz, um die vitale Kraft von abstrakten Gemälden etwa von Mark Rothko zu verstehen. Doch in diese Richtung stößt Mitchell nicht weiter vor.

W. J. T. Mitchell: "Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur". C. H. Beck Verlag, München 2008, 240 Seiten, 14,95 €

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