bücher für randgruppen
: Deine Preise – meine Preise

Als Marcel Reich-Ranicki den unsäglichen Deutschen Fernsehpreis ablehnte, den die TV-Anstalten zur Bestätigung ihrer kulturellen Bedeutung erfanden, zweifelte man an seinem Geisteszustand. Galt der Widerspenstige doch selbst jahrelang als Bestandteil des allgemeinen TV-Kultursystems. Deren Vertreter versuchten nun, Reich-Ranickis klare, wahre, deutliche Worte abzuwehren. An erster Front standen genau die Schauspieler und Moderatoren, die im Spiel immer sonst bedingungslos mitmachen. Von Demenz bis hin zu Doppelmoral reichten ihre verzweifelten Erklärungsmodelle, vorgetragen oft mit verständnisvollem Augenzwinkern. Einzig Elke Heidenreich bestätigte das Gesagte und wurde prompt ins Abseits befördert.

Nach dem Fall der Berliner Mauer starben schnell zwei alte Feinde der Bild-Zeitung: die vergreisten DDR-Kommunisten und die Moderne Kunst. Mit fatalen Folgen: 1992 etablierte sich erstmals ein „Bild-Kulturpreis“. Den erhielt zunächst der Galerist Judy Lybke, der im DDR-System mutig moderne, westliche Kunst vertrat. Er stiftete sein Preisgeld dem kleinen Maas-Verlag. Das ergibt Sinn. Der BZ-Kulturpreis dagegen, den Künstler mit revolutionärer Geste wie Ben Becker oder Jonathan Meese willig annahmen, bringt dagegen nichts. Keinen müden Euro. Gut, vielleicht darf man dafür später gutbezahlt eine ganze Bild-Bibel mit Illustrationen füllen wie Jörg Immendorff – oder man bekommt wie Ben Becker kostenlose Dauerpromotion für wortgetreue Bibelvorlesungen unter wuchtigem Sinfonieorchestereinsatz. Aber im Grunde signalisiert dieser Preis den geistig-moralisch-intellektuellen Absturz.

Wie aber geht ein kluger Kopf mit angetragenen Preisen um? Auch der widerspenstige Thomas Bernhard hat nämlich angetragene Preise angenommen. Endlich, zwanzig Jahre nach seinem Tod und auch dem einiger Beteiligter am Preisverleihungsgeschehen, kann man lesen, wie er mit der „Ehre“ jonglierte. Das köstliche Lesevergnügen beginnt mit der Verleihung des Grillparzerpreises. Bernhard beschreibt präzise, was in ihm vorgeht, vor allem aber auch, was um ihn herum inszeniert wird. Wohl weiß er, dass eigentlich er im Zentrum des Ereignisses steht. Eigentlich. Von der leise schnarchenden Ministerin bis hin zu den ritualisierten Gesten auf der Bühne über Sitzplatzordnungen spielen sich Gesellschaftsdramen ab, die fein, klar und unverschnörkelt in Worte gefasst und auf den Punkt gebracht worden sind. Die Lektüre von „Meine Preise“ ist ein Genuss.

Dabei verschleiert Bernhard nicht, wie sehr er sich auf die „8.000 Mark“ freut und was er damit anfangen möchte. Ob er den Preis nun tatsächlich für seine Werke „Verstörung“ oder „Frost“ bekommt oder doch eigentlich eher für sein akutes, schweres Lungenleiden, das bleibt auch ihm ein Rätsel. Preise verwandeln sich hier in weiße Autos, in Schrott, Ehre und Glück. Doch sie korrumpieren nicht per se. Oder, so Bernhard, würden wir denn einen Bettler beschimpfen, weil er Geld von jedem nimmt, ohne zu fragen, woher es stammt? Ist nicht viel eher beschämend, dass die reiche Industriellenvereinigung lumpige 25.000 Schilling springen lässt für ihren Kulturpreis und nicht zwei Millionen? Ein großartiges, wunderbares Lehrbuch für alle ehrgeizigen Schriftsteller und Künstler, die trotzdem Wert auf einen guten Ruf legen.

WOLFGANG MÜLLER

Thomas Bernhard: „Meine Preise“. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009, 144 Seiten, 15,80 Euro, Suhrkamp. Der Autor dieser Kolumne verleiht seit 2006 mit Françoise Cactus den „Ich sehe was, was du nicht siehst“- Kulturpreis, bekannt auch als Wollita-Preis