Der Norden liest

Verdienstvolle Rundreise: Die „LiteraTour Nord“ führt sechs bekannte und weniger bekannte AutorInnen in einem Lesewettbewerb durch den Norden – am Ende stimmen Jury und Publikum gemeinsam über die Preisvergabe ab

Sonst werden sie nie bei uns auftauchen, mögen sich die Literaturfreunde in Oldenburg, Bremen, Lüneburg, Hannover und Lübeck gedacht haben. Jenen Städten eben, die nicht Hamburg und Berlin sind. Und trotzdem den Wunsch haben, die AutorInnen zu hören, die in letzter Zeit mit Texten aufgefallen sind, von denen man annehmen kann, dass sie von längerem Interesse sind als die Spiegel-Bestsellerliste.

Die Literaturfreunde haben eine einfache, aber sehr effektive Lösung für diesen Wunsch gefunden: Die „LiteraTour Nord“ führt seit 1992 je sechs AutorInnen von Bremen, über Hannover, Lübeck, Lüneburg nach Oldenburg – und anschließend gibt es einen Preis, über dessen Vergabe eine Jury gemeinsam mit dem Publikum entscheidet. Da er mit satten 15.000 Euro dotiert ist, scheint es den Organisatoren keine Mühe zu bereiten, auch die bekannten Namen für die Tour zu gewinnen.

So liest sich die Liste der bisherigen Preisträger wie ein kleiner Auszug aus dem Who ist Who der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: So hatten die Zuhörer 1995 noch das Glück, W. G. Sebald zu hören, 1997 war es Robert Gernhardt, 1999 Emine Sevgi Özdamar; im vergangenen Jahr nahm Katja Lange-Müller die 15.000 Euro mit ins heimische Berlin.

In diesem Jahr sind es Norbert Gstrein, Hans Pleschinski, Charles Lewinsky, Jenny Erpenbeck, Ursula Krechel und Uwe Tellkamp, die auf Lesereise im Norden gehen. Fünf Deutsche also und ein Schweizer, zwischen Anfang Vierzig und Anfang Sechzig und mit einem Hang zum Historischen: Uwe Tellkamp schildert in seinem Roman „Der Turm“, für den er den Deutschen Buchpreis erhielt, den Untergang der DDR. Auch Jenny Erpenbeck – ebenfalls als Kandidatin für den Buchpreis gehandelt – geht es um deutsche Geschichte, jedoch zeitlich weiter gesteckt und anhand eines Hauses in Brandenburg geschildert. Sie erzählt zwölf Lebensgeschichten, die sich dort zwischen Kaiserreich, Weimar, DDR und Nachwende abspielen.

Geschichte verhandelt auch die weniger bekannte Ursula Krechel – und es ist ein weiteres Verdienst der LiteraTour prominente und weniger prominente AutorInnen zu versammeln – indem sie in ihrem Roman „Shanghai von fern“ das Schicksal deutscher Juden im Exil in Shanghai schildert. Norbert Gstrein, der sich schon in früheren Romanen mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien beschäftigte, hat auch in seinem neuen Text „Die Winter im Süden“ die Spur in dieses Land wieder aufgenommen: Es geht darin um eine Vater und seine Tochter, die nach langer Abwesenheit dorthin zurückkehren.

Angesichts all der geschichtlichen Bedeutsamkeit kommen Pleschinki und Lewinsky nahezu leichtfüßig daher: Der eine erzählt in „Ludwigshöhe“ von drei Geschwistern, die ein Haus unter der Bedingung erben, dort ein Hotel für Selbstmörder einzurichten, der andere in „Zehnundeine Nacht“ von einer Prostituierten, die ihren Kunden mit Geschichten unterhält. GRÄ

Jenny Erpenbeck liest: 11. 1., Oldenburg (11 Uhr) + Bremen (20 Uhr); 12. 1., Lübeck; 13. 1., Lüneburg, 14. .1, Hannover