Müller-Inszenierung in Hamburg: Dilemma der Revolutionäre

In einer Inszenierung von Heiner Müllers "Der Auftrag" am Hamburger Schauspielhaus probiert Regisseur Sylvain Creuzevault eher zaghaft den Widerstand der Körper gegen den Text aus.

In den letzten Jahren ließ sich Müller eher auf das Gespräch unter Rauchern ein, als "sperrige" Texte fürs Theater zu produzieren. Bild: dpa

Einen Auftraggeber gibt es nicht mehr. Aber die Pflicht des Auftrags plagt sie noch. Sasportas, der im Kampf gegen Unterdrückung die Rolle des unterdrückten Sklaven annahm und sie nicht mehr loswird. Den Bauern Galloudec, der töten will, solange es noch Sklaverei gibt. Und Debuisson, den Arzt, der mit beiden einen Aufstand auf Jamaika anzetteln sollte und nach dem Machtwechsel in der fernen Heimat Frankreich der Mission immer unsicherer wird.

Nur Antoine, der ihnen einst den Auftrag erteilte, hat sich längst so weit zurückgezogen, dass er so zynisch wie unbehelligt die Folgen kommentieren kann. Sasportas am Strick und Galloudec am Wundbrand gestorben? Na und, "soll ich mir ein Bein abschneiden. Willst du, dass ich mich danebenhänge."

Aber nicht nur Antoine (Tim Grobe) erinnert sich in der neuen Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus nur noch unwillig an das Projekt von gestern und pflegt mit übergeschlagenen Beinen längst einen lässigen Lebensstil. Allen anderen scheint die Dringlichkeit ihres Auftrags ebenfalls in weite Ferne gerückt zu sein. Die sieben Schauspieler legen ab und an weißgesichtige Masken an. Zwei gepuderte Plastikhaarperücken gehören in einer Szene Robespierre und Danton, deren Disput im Beschimpfungen endet. Meistens aber überwiegt ein aufsagender Ton, überraschend dicht am Text, als ginge es um die Psychologie der Figuren und nicht um Müllers Kräftemessen der Geschichte.

Heiner Müller wäre am vergangenen Freitag achtzig Jahre alt geworden. Pünktlich dazu ist die Werkausgabe mit drei Bänden jener vielen Gesprächen erschienen, die ihn in den letzten Jahren seines Lebens vom Schreiben abhielten und zugleich befreiten (siehe taz vom 9. Januar). Die Aufmerksamkeit liegt im Moment nicht gerade auf seinen Stücken. Der Ruf der Sperrigkeit wird ihnen nachgesagt. Schwergewichtig und gemeißelt wirkt die Sprache, die im "Auftrag" ein pessimistisches Bild zementiert: So hochfliegend die Erwartungen an historische Erneuerung waren, so vergeblich werden sie am Ende sein.

Der Dramatiker hat selbst einmal formuliert, dass seine Texte auf der Bühne widerständige Körper bräuchten, um die volle Wirkung zu erhalten. Dimiter Gotscheff hat einen Weg dorthin gefunden und Müllers Stücke wieder zu einem Abenteuer gemacht. Es ist schon Legende, dass Gotscheff die Texte in den Gedärmen rumoren fühlen muss, um sie zu inszenieren. Der junge französische Regisseur Sylvain Creuzevault, Jahrgang 1982, hat diesen eindringenden existenziellen Blick nicht. Er fiel mit einer Brecht-Inszenierung vor anderthalb Jahren so positiv auf, dass man ihm Heiner Müller anvertraut hat. Aber er verleibt sich nichts in die Eingeweide ein, und muss sich auch nichts austreiben. Er inszeniert aus der Sicht der Spätgeborenen, die Haltungen ausprobieren, überstülpen und wieder ablegen.

Die Masken, mit denen das Spiel beginnt, hängen ringsum im Bühnenraum an Kleiderhaken wie tote Gesichter. Szenen werden locker aneinandergereiht, der Text wird ausprobiert, als würde man ihm zum ersten Mal begegnen. Es überrascht allerdings, wie historisch die Inszenierung dennoch wirkt. Während bei Heiner Müller viel von Jamaika die Rede ist, spielt man im Bühnenbild von Julia Kratsova in einem leeren Amtszimmer. Trübe Neonröhren tauchen den Raum in graues Licht, braune Resopalvertäfelung und ein gebohnerter Linoleumboden wecken Assoziationen an Parteibehörde und Funktionäre, die zum tausendfachen Aufdampfen der Briefpost strafversetzt wurden.

So viel Konkretheit erlaubt die Inszenierung allerdings gar nicht. Man befindet sich hier dann doch weniger im Untergeschoss einer Behörde, als im abstrakten Keller der Geschichte. Der surrealistische Monolog eines Angestellten, der im Fahrstuhl nach oben vergisst, warum er unterwegs ist, wird als polyphones Stimmengewirr eingespielt. Man könnte meinen, die Wände würden sprechen.

Im Grunde inszeniert Creuzevault eine Begegnung mit Müllers Text, in der wiederum die Selbstbegegnungen der Revolutionäre mit ihren Rollen stecken. Wenn der Auftrag nicht mehr erfüllbar ist, bleibt den Figuren nur die Wahl zwischen Selbstaufgabe, borniertem Individualismus und heroischem Festhalten. Erst auf dieser Ebene finden auch die Schauspieler so richtig in ihre Rollen. Stefan Haschke als Sasportas wird endlich überzeugt sein, dass der Auftrag nicht erlöschen kann, solange es Sklaven gibt. Tim Grobe als Galloudec beschwört das Sterben als Gleichheit der Menschen. Felix Kramers Debuisson zieht sich ins Hohngelächter zurück. So wird der Abend auf der letzten Strecke noch interessant und erzählt vom Dilemma der Revolutionäre, nicht gleich sein zu können.

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