„Die Hausaufgaben blieben unerledigt“

Kein Ende im Streit um Alfred Toepfer: Der Historiker Michael Fahlbusch bemängelt Versäumnisse in der Aufarbeitung der Vergangenheit des Hamburger Stifters. Von der Toepfer-Stiftung fordert er eine neue Ausrichtung der Stiftungspolitik

taz: Herr Fahlbusch, als die Musikakademie Opus XXI kürzlich ein Förderangebot der Toepfer-Stiftung wegen der zweifelhaften Vergangenheit des Hamburger Stifters ablehnte, verwies die Stiftung auf das Ergebnis der Historiker-Kommission unter Leitung von Hans Mommsen: „Es drängte Toepfer nie, Mitglied der NSDAP zu werden und er teilte nie die zentralen Ziele und Motive der führenden Nationalsozialisten.“

Michael Fahlbusch: Mommsen hob auf dem Historikertag 1998 hervor, die Mitläufer seien die schlimmeren Nazis gewesen. Warum er Toepfer nun einen Persilschein ausstellt, ist nicht nachvollziehbar. Er gehörte nicht der NSDAP an, pflegte aber zu hohen NS-Funktionären rege Kontakte. Zu Rudolf Hess oder den SS-Obergruppenführern Werner Best und Werner Lorenz.

Deren Motive und Ziele, würde Mommsen sagen, waren vollkommen andere. Rassismus und Antisemitismus hätten Topefer fern gelegen.

Toepfer folgte der völkischen Ideologie, er war geprägt vom Weltbild des Antisemiten Julius Langbehn und der gesamtdeutschen Auffassung. Er teilte die NS-Volkstumsideologie ganz und gar. Und diese Volkstumsideologie sollte man von ihrer vermeintlichen Schuldlosigkeit befreien.

Wofür machen Sie die Volkstumsideologie denn verantwortlich?

Die völkischen Wissenschaften sind mit in den Holocaust involviert gewesen. Die Ostforschung als aggressivstes Potenzial der völkischen Wissenschaften trug erheblich dazu bei, dass die Bevölkerungspolitik des NS-Staates umgesetzt werden konnte.

Die Nazis konnten etwa auf die ethnopolitischen Karten der Ostforscher zurückgreifen. Das rechtfertigt aber noch nicht, die völkische Bewegung im Nationalsozialismus aufgehen zu lassen.

Im „Handbuch der völkischen Wissenschaften“ sind wir zum Ergebnis gekommen, dass einige der völkischen Wissenschaftler durchaus bereit waren, mit der Waffe in der Hand die Volkstumsforschung auch in die Tat umzusetzen.

Und darüber bringen Sie Toepfer mit der Judenvernichtung in Zusammenhang?

Seine Stiftungen haben überwiegend völkische Wissenschaftler mit Kulturpreisen ausgezeichnet. Und darunter ist mit Kurt Lück auch ein SS-Hauptsturmführer, der bei der Bandenverfolgung und damit auch der Ermordung von Juden im Osten gefallen ist. Schwer wiegt auch Toepfers Verbindung mit Georg Leibbrandt, dem Vertreter von Rosenberg auf der Wannseekonferenz. Toepfer nannte Leibbrandt Ende 1942 als potenziellen Preisträger seiner Stiftung, was die Historiker-Kommission unterschlug.

Was ist mit der inneren Distanz, auf die Toepfer laut Kommission seit 1944 zum NS-Regime gegangen sein soll?

Die suche ich vergeblich. Es liegt ein Dokument zwischen Best und Topefer vor, bei der sich die beiden geradezu familiär austauschen. Darüber hinaus arbeitete Toepfer im Europakreis mit, in dem Wirtschaftsführer noch im letzten Kriegsjahr versuchten, Devisen und wichtige Edelmetalle zu organisieren. Toepfer war für Portugal und Spanien zuständig. Das war immer noch sein altes Europa-Konzept unter deutscher Vorherrschaft.

Der französische Germanist Gerard Loiseaux nannte die Arbeit der Historiker-Kommission eine „pure Reinwaschung“ der Stiftung.

Ich kann dem nur zustimmen. Die Hausaufgaben blieben unerledigt. So hat die Kommission die Chance, die Kontakte Toepfers zu Thies Christophersen, dem Verfasser der Ausschwitz-Lüge, zu überprüfen, untätig verstreichen lassen. Dieser hat 1994 behauptet, er sei von Toepfer unterstützt worden.

Wann soll diese Unterstützung erfolgt sein? Es macht ja einen Unterschied, ob er Anfang der 50er Jahre als der Landwirt Christophersen in der CDU war oder nach 1973, also nach der Publikation der „Ausschwitzlüge“?

Sicherlich früher. Wie und in welcher Form diese Unterstützung stattgefunden hat, wissen wir aber nicht.

Was halten Sie von Toepfers späterem Engagement für ein Europa der kulturellen Vielfalt?

Zweifelsohne hat Toepfer sich bemüht, sich nach dem Krieg philanthropisch zu geben. Unabhängig davon blieb er seinen alten NS-Seilschaften verpflichtet, angefangen von seinen Mitarbeitern aus dem Wirtschaftsstab Ost bis hin zu dem NS-Rektor Gustav Adolf Rein, der sich rühmte, die Hamburger Universität „judenfrei“ gemacht zu haben.

Was fordern Sie heute von der Stiftung, was kann sie anders machen?

Toepfer hat 1944 eine Europa überziehende Förderungspolitik angedacht. Vielleicht sollte man sich von diesem Gedanken verabschieden, zumal eine Entschuldigung angebrachter wäre.

Das hieße, die Stiftung soll sich aufs Nationale beschränken?

Warum nicht auch regional? Es gibt viele Schweizer Stiftungen, die nur regional arbeiten. Warum sollte die Toepfer-Stiftung sich nicht eines neuen Weges und eines Besseren besinnen?INTERVIEW: MAXIMILIAN PROBST

Fotohinweis:MICHAEL FAHLBUSCH, 51, arbeitet als Historiker in Basel. Mit Ingo Haar hat er das 2008 erschienene „Handbuch der völkischen Wissenschaften“ ediert, in dem sich ein Artikel mit Alfred Toepfer befasst.