Prämierter Kino-Film "Die Klasse": Provokationen und Respekt

Eine Schulstunde filmen wie ein Tennismatch: Laurent Cantets Film "Die Klasse" ist ein lebendiges Kammerspiel. Schauplatz ist eine Schule in einem Pariser Problembezirk.

Auf Augenhöhe mit seinen Schülern: Lehrer Francois Bégaudeau. Bild: concorde

"Ich habe gehört, dass Sie Männer mögen." Die Klasse johlt. Die Provokation gilt dem Klassenlehrer. Der muss kurz schlucken, bevor er die Frage zurückgibt: "Und du, wen magst du?" Diesmal hat François noch die Oberhand behalten, denn nun ist es an Souleymane, verlegen zu werden.

Dann beschweren sich zwei Mädchen, dass bei seinen Beispielsätzen immer nur Namen wie Bill vorkommen. Wie wärs mal mit Rachid oder Aïssata? Wieder stutzt François und korrigiert sich. Esmeralda ist sehr zufrieden über ihrem Etappensieg. Ruhe gibt sie aber keine.

"Die Klasse" von Laurent Cantet porträtiert den Unterrichtsalltag einer 7. Klasse in einem Pariser "Problembezirk". Neben Grammatiklektionen und Annäherungen an so etwas Exotisches wie ein Gedicht stehen vor allem die ganz großen Fragen im Raum: "Wer bin ich?", "Wie siehst du mich?", "Was bildest du dir eigentlich ein?"

Mit drei Kameras wird ein extrem lebendiges Kammerspiel entworfen. Eine Kamera richtet sich auf die Lehrer, eine auf die Schüler, die dritte auf Details wie einen kippenden Stuhl. Das Konzept: "Wir wollten eine Schulstunde wie ein Tennismatch filmen", erklärt Cantet. Die Idee für diesen Film entstand bei der Lektüre des Romans "La classe" von Francois Bégaudeau. Bégaudeau war selbst Lehrer, und er spielt die Hauptfigur, den Klassenlehrer François.

Das Besondere an diesem jungen Lehrer ist, dass er sich nicht davon abbringen lässt, die Kids als Persönlichkeiten ernst zu nehmen. Auch wenn sie ihn an den Rand des Wahnsinns treiben. Doch trotz des permanenten Kleinkriegs - die SchülerInnen rechnen ihrem Lehrer hoch an, dass er sie nicht langweilt. Dass er sie ernst nimmt, verwirrt sie. Entsprechend aggressiv reagieren sie auf den Vorschlag, ein Selbstporträt von sich anzufertigen. "Wir gehen zur Schule, wir gehen nach Hause, wir essen und wir schlafen." Esmeralda bringt auf den Punkt, was die meisten fühlen. Nur langsam gelingt es ihnen, Interesse für ihr Leben aufzubringen. Dann macht sich Begeisterung breit.

Kurz darauf flippt ein Junge aus, ein Unfall passiert, und das mühsam aufgebaute Vertrauen ist mit einem Schlag dahin. Schüler blocken ab, Lehrer strafen ab. Unbarmherzig wird die Freund-Feind-Linie gezogen. Trotzdem: Im nächsten Schuljahr wird das Hin und Her zwischen Lehrern und Schülern von neuem beginnen, zumindest für die, die nicht von der Schule geflogen sind.

Der Film zeigt die SchülerInnen als aufgeweckte, spannungsgeladene junge Erwachsene - ihr migrantisches Elternhaus ist dabei ein wichtiger Faktor, aber es bestimmt nicht ihre Identität insgesamt. Cantet widersetzt sich jeder Festlegung der ProtagonistInnen auf die Masterzuschreibung Migrantenkids. So erzählt der Film vom ganz normalen Wahnsinn, der im Klassenzimmer abläuft, von der Hilflosigkeit auf allen Seiten und von dem Ehrgeiz, sich von dem Elend nicht fertigmachen zu lassen. Auch der findet sich auf allen Seiten.

"Die Klasse". Regie: Laurent Cantet. Mit François Bégaudeau, Vincent Caire u. a. Frankreich 2008, 128 Min.

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