Auf neuem Boden

Vierzig Schauspieler, zwei Bühnen, ein Amerika: Unter Carlos Manuels Leitung inszenieren gerade vierzig Amateure gar nicht amateurhaft Kafkas ersten Teil seiner dreibändigen „K.“-Romanfolge im Theater an der Parkaue

„Willkommen in Amerika!“, wo es Konfetti vom Himmel regnet, wo alle Menschen freundlich sind und man sich von ganz unten nach ganz oben hocharbeiten kann. So in etwa muss sich der junge Kafka, der selbst nie dort gewesen ist, das Land der Träume vorgestellt haben, als er 1912 mit den Entwürfen zu seinem nie vollendeten Erstlingswerk, das heute unter dem Titel „Amerika“ oder „Der Verschollene“ bekannt ist, begann: Amerika! Land der schrillen Farben und des aufgesetzten Lächelns, wo man in plakativen Sätzen spricht und niemand zuhört. Land der unbegrenzten Möglichkeiten und gleichzeitig Land der unbegrenzten Ausbeutung. Amerika!

Und so, in seiner zwiespältigen Doppelmoral, versucht auch Regisseur Carlos Manuel mit einer gehörigen Prise Humor die Szenerie darzustellen, in der sich Kafkas Protagonist, der 16-jährige Karl Roßmann, zurechtfinden muss. Erarbeitet hat er „Amerika!“ mit der JugendTheaterWerkstatt Spandau, nun ist die Produktion ans Theater an der Parkaue umgezogen. Das allein vierzig Schauspieler zählende Ensemble besteht dabei aus Rentnern, Arbeitern, Studenten, Hartz-IV-Empfängern und Schülern. Jeder, der sich auf der Bühne oder als Mitarbeiter ausprobieren wollte, hatte dazu bei dieser Koproduktion unter professioneller Leitung die Gelegenheit.

Das Resultat ist eine sich sehr genau an die Vorlage haltende, dreistündige Ode an ebenjenes Land, das zum Zeitalter der Industrialisierung viele große Köpfe hervorbrachte, aber auch viele Köpfe verschlang. Gewitzt und ironisierend bedienen sich Carlos Manuel, Fred Pommerhen (Bühne) und Elke von Silvers (Kostüm) dabei ungeniert und mit klassischem Theaterwerkzeug jeglicher Klischees, die Amerika bereits hervorbrachte. Billige Musical-Töne übertönen da die anklagenden Stimmen eines Arbeiterstreiks, das amerikanische Blondchen hat außer Sex und Entertainment nichts im Kopf, und Miss Americas, Indianer und Cowboys tänzeln über die Bühne.

Der Zuschauer wird dabei in das Geschehen mit einbezogen und Teil des zweiteiligen Bühnenbildes. Aus der Perspektive der am Hafen stehenden Wartenden betrachtet er Karls Ankunft im Wunderland und betritt dann gemeinsam mit ihm über die (Bühnen-)Planken amerikanischen Boden. Später folgt er dem Protagonisten zur letzten Station und wird einer von vielen, deren letzte Hoffnung eine Anstellung beim Großtheater Oklahoma ist.

In dieser angenehmen Atmosphäre, in der auch einmal mitten in einer Szene geklatscht werden darf, fühlen sich die meisten Schauspieler sichtlich wohl. Besonders Rudi Keiler Gómez de Mello und Michael Schmidt gehen in ihren Rollen als das irisch-französische Schurkenpaar Robinson und Delamarche („Dell am Arsch“) voll auf. Unter den vier jungen Darstellern für die Figur des Karl Roßmann brilliert ebenso Thomas Wojczewski, der das Dilemma des korrekt-höflichen Deutschen unter lauter oberflächlichen Amerikanern geradezu liebevoll darstellt.

Vermisst wird jedoch trotz all des Ideenreichtums der geplante moderne Kontext, der Auswanderung zu Kafkas Zeiten mit der heutigen Problematik von Migration und Identitätssuche verbindet. Sichtbar werden sollte eigentlich, was die Schauspielenden aus ihren eigenen Leben an Erfahrungen mitbringen. Doch daraus wird nicht viel mehr als bereits von Kafka beschrieben, und das beschränkt sich auf das Beispiel Amerikas. Auch ansonsten geht der gesellschaftskritische Ansatz allzu oft in verharmlosenden Elementen unter, und die Grenzen von Ironie und Parodie verwischen. Das ist zwar gut für die Lachmuskeln, unterstützt aber nicht die Aussagekraft des Stückes. DANIELA SALETH

„Amerika“, wieder 19. + 20. Januar, 22.–28. April, Theater an der Parkaue