Als Farah Diba auf Vernissagen ging

Das Nichts und das Readymade: In den 70er-Jahren entstand im Iran eine moderne Kunst, die seit der islamischen Revolution massiv zurückgedrängt wurde. Heute entdeckt der Kunsthandel Künstler wie Parviz Tanavoli wieder, der volkstümliche Mythen mit einer abstrahierenden Sprache verband

VON GISELA FOCK

Die Wiederentdeckung der klassischen iranischen modernen Kunst geschieht ausgerechnet durch die Auktionshäuser. Seit dem Frühjahr 2007 erzielen Sotheby’s, Christie’s und Bonham’s mit iranischen Gemälden und Skulpturen auf ihren Kunstauktionen Rekorderlöse. Die Bronzeplastik „Oh, Persepolis“ des iranischen Bildhauers Parviz Tanavoli (geb. 1937) wurde etwa für 2,8 Millionen US-Dollar verkauft. Neuer Besitzer dieser abstrakten Arbeit ist das Sieben-Sterne-Hotel Burj Al Arab in Dubai.

Parviz Tanavoli ist einer der wichtigsten Vertreter der modernen iranischen Kunst, dessen Werk in den Jahren nach der islamischen Revolution 1979 nur noch wenig öffentliche Beachtung erfuhr. Nach mehreren Revolutionstribunalen wurde vom neuen Regime ein Ausstellungs- und Arbeitsverbot gegen ihn erlassen. Er verlor seine Tätigkeit als Professor für Bildhauerei an der Akademie der schönen Künste in Teheran und durfte seine Kunst auch nicht mehr in öffentlichen oder kommerziellen Galerien im Land anbieten. Zusammen mit seiner Familie musste er 1985 den Iran verlassen.

Derart machten die islamistischen Revolutionäre Schluss mit einer lebendigen Ära iranischer Kunst, die Anfang der 60er-Jahre ihren Anfang genommen und in den 70ern ihren Höhepunkt erreichte. Ajatollah Chomeini hatte verkündet, ihm missfiele eine Kunst um ihrer selbst willen, er verlange kreatives Schaffen im Dienste islamischer Werte. Die mit westlichem Fortschrittsdenken gleichgesetzten künstlerischen Ergebnisse der Pahlavi-Ära wurden deshalb abgelehnt.

Heute ist kaum noch im Bewusstsein, dass sich in den 70er-Jahren in Teheran ein eigenständiger moderner Kunststil etabliert hatte. Der Chronist zeitgenössischer Kunst im Iran, Karim Emami (1930–2005), benannte die formalen Gemeinsamkeiten mit dem Begriff „Sacha-Chaneh“. Dieser Terminus stammt eigentlich aus der Architektur und beschreibt einen Votivbrunnen aus der schiitischen Glaubenspraxis. Die Künstler griffen die Stilisierung volkstümlicher religiöser Malerei auf, sie entlehnten Dekorationen dem traditionellen Stoffdruck und der Nomadenteppiche, sie beschrifteten ihre Kunstwerke wie die Illustrationen der Wandererzähler. Damit übernahmen sie auch die symbolhafte Mystik der Weissagungen und der Gelöbnisse.

Auch Parviz Tanavoli wählte seinen Themen aus iranischen Volksmythen und der religiösen Folklore. Die anfängliche Skepsis des Publikums angesichts des unkonventionellen Umgangs mit solchen Themen wich Mitte der 60er-Jahre einer langsam steigenden Anerkennung. Parviz Tanavoli suchte aber die provokante Auseinandersetzung mit dem Publikum: 1968 präsentierte er in Teheran ein Werk, mit dem er bewusst ein Tabu brach und Aufsehen erregte.

Für das Combine Painting „Aftabeh“ schnitt er aus einem handgeknüpften Teppich das Mittelmedaillon heraus, in das er stattdessen als Readymade eine traditionell geformte Kanne stellte, die im Alltag zur Toilettenspülung diente. Die Galeriebesucher reagierten empört, sie fühlten sich angesichts eines zum Kunstwerk erklärten Hygieneartikels und eines mutwillig zerstörten Teppichs verhöhnt.

Solche Provokationen begleiteten Parviz Tanavolis Suche nach dem eigenen Stil. Sein reifes Werk, das heute in den Auktionen begehrt ist, gliedert sich vorwiegend in zwei Themengruppen. In der einen steht der persische Begriff „Hitsch“ im Mittelpunkt. Hitsch bedeutet übersetzt „Nichts“, eine genaue Lesart wurde von Parviz Tanavoli bewusst offen gehalten. Vage verwies er auf eine Verknüpfung mit dem Sufismus. In der anderen Themengruppe, den „Walls of Iran“, hatte der Künstler die Assemblagen aus dem frühen Schaffen weiterentwickelt und in eine konzentrierte Form gebracht.

Die Oberflächen dieser Skulpturen hatte Parviz Tanavoli mit Strichen und Zeichen strukturiert. Vorstellungen von universalen Formen und Schriften bewegten hier den Künstler. Die kürzlich verkaufte Plastik „Oh, Persepolis“ ist eine seiner gelungensten Plastiken aus dieser Schaffensphase.

Die Künstler des Sacha-Chaneh-Stils empfanden die iranische Folklore als Hort unverfälschter, reiner Kreativität. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber solchen Postulaten setzte sich dieser Stil bei der iranischen Oberschicht erfolgreich durch. Hintergrund bildeten die rasanten Modernisierungsmaßnahmen, deren Annehmlichkeiten im Lebensstil zwar gerne übernommen wurden, die aber auch den Wunsch nach identitätsstiftenden Momenten hervorbrachten. Der Sacha-Chaneh-Stil kam mit seinen traditionsreichen Bezügen diesem Bedürfnis entgegen. Den durchschlagenden Erfolg des Stils markierte die Eröffnung des Tehran Museum of Contemporary Art 1977, die von der Ausstellung „Sacha Chaneh“ eingeleitet wurde.

Im Gegensatz zur Literatur entfaltete sich die moderne bildende Kunst im Iran des Schah-Regimes bis 1979 ungestört vom heute wie damals berüchtigten iranischen Geheimdienst Savak. Ein Grund dafür war das Kunstengagement Farah Dibas. Die Ehefrau des Schahs war auf den meisten Vernissagen Teherans anzutreffen, sie rief aber auch Kunstfestivals ins Leben und gründete im Iran mehrere Sammlungen und Museen.

Seit dem abrupten Ende des künstlerischen Schaffens 1979 ist die eigentümliche Entwicklung der iranischen Moderne in der bildenden Kunst für lange Zeit praktisch vollständig in Vergessenheit geraten. Die fehlende Auseinandersetzung förderte weithin die Ansicht, iranisches Kunstschaffen hätte mit Gemälden und Artefakten der Kadscharen-Dynastie (1779–1925) aufgehört. Ihrer Wiederentdeckung durch den Kunstmarkt folgt hoffentlich nun die wohlverdiente Würdigung.