Auf dem Lande

Melker beim Hinterseer

Ich glaube, Menschen in Großstädten reden so wenig miteinander, weil sie zu viele sind. Man kann in einer Millionenstadt unmöglich mit jedem ein paar Worte wechseln. Das sieht auf dem Land natürlich anders aus, so wie neulich in Ketzin, wohin es mich wegen einer Recherche verschlagen hatte.

Am Nachmittag stand ich an der Haltestelle und wartete auf den Bus nach Nauen, um dort die Regionalbahn zurück nach Berlin zu nehmen. Plötzlich stand eine Rentnerin mit Brille und Einkaufsbeutel neben mir und legte sofort los. „Da hätte ich ja noch bei den Frauen bleiben können“, sagte sie mit Blick auf ihre Uhr. Sie zeigte auf die Gaststätte „Zum Ketziner“ gegenüber. „Jeden Mittwoch gehe ich dort mit der AWO-Gruppe kegeln.“ Ich fragte sie, wie es gelaufen sei. Sie zog einen Zettel mit Zahlen aus ihrem Beutel und strahlte. „Ich habe gewonnen!“ Dann wechselte sie das Thema. „Ich habe ja Krebs, Brustkrebs. Na ja, alles weg. An den Narbenrändern blutet es manchmal.“ Sie strich über die Stelle, wo mal ihre Brust gewesen war. „Der Arzt hat mich gefragt, warum mir das keine Schmerzen bereitet. Wenn Sie mir eine knallen, hab ich zu ihm gesagt, dann hab ich Schmerzen.“ Wir lachten.

Ich sagte der Frau, dass es schön sei, dass sie wenigstens ihren Humor behalten habe. „Und nächstes Wochenende fahre ich mit der AWO-Gruppe zu Hansi Hinterseer!“, erzählte sie begeistert. „Ich war schon mal bei ihm, und da hat er mich gefragt, was ich früher gearbeitet habe. Wissen Sie, was ich geantwortet habe? Stellen Sie vier Männer vor mich hin und Sie wissen es.“ Sie musste es dem Schlagersänger dann doch erklären. „Na, ich war Melker!“, rief sie und lachte. Dann stieg sie in den Bus und winkte mir zu. BARBARA BOLLWAHN