Dicke Striche

Wo ist die Grenze? Wie Schulatlanten Geschichtsbilder spiegeln, zeigt Patrick Lehns Buch „Deutschlandbilder“

Schulatlanten sind Welterschließungsbücher. Ohne die Kartensammlungen zwischen zwei Buchdeckeln wäre es oft schwierig, Schülern einen anschaulichen Eindruck von der Welt, auf der sie leben, zu vermitteln. Schwierig wird es aber dort, wo die dargestellten Bilder über geografische Gegebenheiten hinausgehen. Staatsgrenzen sind bekanntlich nichts Natürliches, sondern politische Gebilde, die manchmal ideologisch geprägt sind. Sie sind ein naheliegendes Forschungsthema für einen Historiker wie Patrick Lehn. Er präsentierte seine Dissertation „Deutschlandbilder. Historische Schulatlanten zwischen 1871 und 1990“ am Donnerstag im Kartenlesesaal der Staatsbibliothek.

Fast erstaunt es ein wenig, dass Lehns Arbeit, mit der er an der Universität Heidelberg promovierte, die erste Gesamtdarstellung ihrer Art ist. Denn das ideologische Potenzial der vermeintlich objektiven Karten liegt auf der Hand. „Schulatlanten spiegeln immer Geschichtsbilder wider“, sagt Lehn. Hinzu komme, dass Atlanten oft konservativ sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien zum Beispiel viele Karten aus der Nazizeit übernommen worden, wenn es politisch opportun war.

Ganz nebenbei bekommt man mit Lehns Buch auch einen besseren Begriff von der politischen Reichweite der Bildungshoheit. So wurde im Anschluss an die Ostverträge die alte Ostgrenze des Deutschen Reiches von 1937 der meisten Bundesländer immer weniger dominant gezeichnet. In Bayern jedoch, wo man die Ostverträge nicht anerkannte, blieb diese Grenze während der Siebziger unverrückbar. Die jeweilige Bildungspolitik hatte somit starken Einfluss auf die Kartengestaltung. Und die Verlage bemühten sich, die Vorgaben von staatlicher Seite zu erfüllen, um ihre Absätze zu sichern.

Lehns Fazit aus seinem Gang durch die Atlantengeschichte: „In den Atlanten spiegeln sich Auffassungen wider, die für die Entwicklung der Gesellschaft repräsentativ sind.“ Manchmal lassen Atlanten auch die Grenzen des kartografisch sinnvoll Darstellbaren erkennen. Im „Großen Historischen Weltatlas“ gab es zum Beispiel eine Karte über „Europäische Bevölkerungsbewegungen“ – dargestellt waren die Deportationen von Juden im Nationalsozialismus. Die umfangreiche Studie hat einen großen Anhang mit Farbreproduktionen der verschiedenen Karten. Nach ihrer Lektüre sieht man Schulrelikte wie den Putzger-Atlas vermutlich mit etwas anderen Augen. TIM CASPAR BOEHME

Patrick Lehn: „Deutschlandbilder. Historische Schulatlanten zwischen 1871 und 1990. Ein Handbuch“. Böhlau Verlag, Köln 2008, 596 Seiten, 99,90 €