Ampelnachrichten

Janine lügt!

Dass Menschen ihre persönlichen Daten freiwillig ins Internet stellen, ist inzwischen so normal wie die Tatsache, dass Horden von Westdeutschen in Ostberlin wohnen. Man hat sich arrangiert, mit dem Internet, mit den Westdeutschen und mit dem gläsernen Menschen. Am Treptower Park jedoch hatte jemand besonders viel Aufwand betrieben, um sich und seine Bekannten der Öffentlichkeit preiszugeben. An jeder zweiten Ampel klebte ein verlotterter Zettel einer anscheinend suchwütigen Frau, samt ihrer Adresse, E-Mail und der Nummer ihres verlorenen Telefons. Dazu noch die Anschrift und alle restlichen Daten eines Freundes, falls man sie nicht erreichen kann. Dazu die kurze Nachricht, dass der Verlust des Handys schon einige Wo- chen zurückliege, aber wie sagt Tony Curtis in „Manche mögen’s heiß“ so wunderbar: „Es kommt nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern auf wen oder was!“

Auf der Suche nach weiteren aufregenden Ampelnachrichten und von meiner Verabredung mit Verspätung bestraft, schlenderte ich in Richtung Ostkreuz. Meine Gebete wurden erhört. Das Phänomen des Internetmobbings wurde einem in so manchem Zeitungsartikel bereits erklärt, aber „Streetmobbing“ war selbst mir neu. Die immer gleiche Bekanntma- chung fledderte um die Ampelmasten, geschrieben in krakeliger Kinderschrift und mit der einen und anderen als Schmähung zu verstehenden Buntstiftzeichnung. Jeder wuss- te es nun, die Welt war informiert: „Janine klaut Stifte aus der Federtasche von Zedrik und Sophie lügt überall, dass sie mit Deniz geküsst hat, als Deniz nicht in der Schule war!“ Donnerwetter!

JURI STERNBURG