Euphorie und Gummibeine

Work-out in der Morgenstunde: The Juan MacLean, dessen Album „The Future Will Come“ im April erscheint, gab im Hamburger Club „Uebel & Gefährlich“ einen Vorgeschmack

Der Mensch verlässt die Erde. Das kündigt sich am frühen Samstagmorgen gegen 4.50 Uhr an, als der amerikanische Produzent und DJ The Juan MacLean (eigentlich John MacLean) seine Fanfare „Happy House“ auflegt. „Launch me into Space“, singt MacLeans Partnerin Nancy Wang am Höhepunkt dieses gloriosen Tracks. „Schieß mich ins All“.

The Juan MacLean hat diesmal die undankbare Aufgabe, die Anwesenden am Ende eines langen Abends im Hamburger Club „Uebel & Gefährlich“ aus ihren Paralleluniversen zu synchronisieren, und er tut das mit der gebotenen Leidenschaft. Wenn er seinen eigenen Song auflegt, ist das weniger kokett als vielmehr der Versuch, die Muskelreflexmaschinen auf der Tanzfläche irgendwie in Bewegung zu kriegen.

„Happy House“ war bereits eine der Singles des Vorjahres, der Track entfaltet Langzeitwirkung. The Juan MacLean bettet ihn in eine souveräne DJ-Reise durch mehrere Jahrzehnte Tanzmusik ein, von „Ring My Bell“ (Anita Ward), über „Funky Town“ (Lipps Inc.), zu „Good Life“ (Kevin Saunderson), zu „Rushing to Paradise“ (Liv Spencer). Hier legt MacLean noch eine Spur vom New York Garage der Gegenwart zum Detroit Techno, dort nimmt er Bezug auf die elektronischen Emotionen von Kraftwerks „Taschenrechner“.

Auf dem Dancefloor tanzt ein Mädchen mit einer venezianischen Karnevalsmaske fast bewegungslos zur Computermusik und versucht sich per Zeichensprache verständlich zu machen. Da sind Typen, die trotz riesiger Sonnenbrillen blutunterlaufene Augen haben. Einer stolpert über die Tanzfläche wie die Mumie in Herbert Achternbuschs Stummfilm „I know the way to the Hofbräuhaus“. Die Realität sieht ein wenig gebeutelt aus, aber Hilfe ist schon unterwegs.

Im April wird The Juan MacLean ein neues Album auf dem New Yorker Label DFA Records veröffentlichen, „The Future Will Come“ heißt es. Zurück in eine Zukunft, die noch futuristisch anmutet. Nach Sheffield 1982 und der elektronischen Popmusik von Human League etwa. „Happy House“ beschließt in seiner ganzen zwölfminütigen Pracht auch das neue Album von The Juan MacLean.

Die, die jetzt noch im „Uebel & Gefährlich“ zu diesem Zukunftsversprechen tanzen können, lassen sich von der Euphorie der Musik bereitwillig anstecken. „Happy House“ lobt die Glückseligkeit der Liebe mit ungewöhnlicher Offenheit. Zu einem klassischen House-Piano-Thema treibt eine Kuhglocke den stilvollen 4-to-the-Floor-Beat vor sich her. Eine Frau bedankt sich bei ihrem Liebhaber – oder ihrer Liebhaberin – für den tollen Sex. Wenn Nancy Wang „Excellent / You are so excellent“ intoniert, klingt das fast ein wenig sarkastisch, postkoital: Na ja, eigentlich sollte guter Sex selbstverständlich sein. Im „Uebel & Gefährlich“ rudern dann doch irgendwann die Arme dazu und die weich getanzten Gummibeine parieren den Beat. Noch einmal erwachen die müden Glieder.

Der Schweiß wird dem Work-out der Morgenstunde mit seltener Gleichmütigkeit abgerungen. Das gilt auch für The Juan MacLean, dessen starrer, auf die Plattenspieler gerichteter Blick an Bruce Willis erinnert, kurz vor einem Vergeltungsschlag. Was der Unterschied zwischen John MacLean und The Juan MacLean sei, habe ich ihn Stunden zuvor gefragt. Das wisse er manchmal selbst nicht mehr, lautet die Antwort. Im „Uebel & Gefährlich“ zeigt sich The Juan MacLean von seiner menschlichen Seite. Er scheint zu merken, dass Ruhm so flüchtig ist wie guter Sex.

JULIAN WEBER